Danis Geschichten

Hinter Gittern - Der Frauenknast


Sommer 2006


Fast vier Monate waren vergangen, nachdem Eva in Reutlitz gekündigt hatte und von Evelyn Kaltenbach zu einer Fortbildung nach Paris geschickt worden war. Viel mehr war es ja ein Angebot, das Eva angenommen hatte. Sie war direkt am gleichen Tag gefahren, hatte nur noch ihre Sachen zusammengepackt.
Die Fortbildung hatte Eva zwar einiges gebracht, aber das meiste wusste sie schon. Sie genoss deswegen mehr Paris. Sie hatte wenig Zeit zum Nachdenken, was auch nicht schlimm war. Denn nachdenken wollte sie nicht. Zu sehr traf Eva es, dass sie so derartig auf Edgar Brock reingefallen war. Sie, die glaubte, sich die Menschen genau angeschaut zu haben. Sie war auf so einen wie Brock herein gefallen. Warum? Warum passierte ihr das? Über diese Frage dachte sie nun mehr denn je nach.
Seit gut einer Woche war sie wieder in Berlin. Ihre alte Wohnung wurde in dieser Zeit weitervermietet. Eva hatte sich mit dem Vermieter abgesprochen. Der hatte Eva zugesichert, dass sie sich keine Sorgen machen müsste. „Sorgen habe ich ja auch im Moment genug“, sagte sie leise zu sich selbst. Immer wieder hatte sie den gleichen Traum: Brock! Wie er sie doch benutzt und hintergangen hatte. Sein einziges Ziel war es, Eva loszuwerden und selbst Direktor von Reutlitz zu sein. Sie war nur Mittel zum Zweck. „Wieso habe ich damals nicht meine eigenen Regeln befolgt?“, ging sie in ihrer neuen Wohnung auf und ab. Das hatte sie doch alles schon einmal erlebt. Sie, die eiserne Lady, wie sie damals genannt wurde, fiel auf einen Mann rein. Auf ihren Dozenten. Gunter Merk. Sie hatte sich ihm verbunden gefühlt. Er hatte dieselben Vorstellungen wie sie. Mit Gunter hatte sie ihr erstes Mal erlebt. Und er hatte nur was für die Woche gebraucht! Was hatte er ihr erzählt? Seine Eltern würden in Hamburg leben, sein Vater einen Herzinfarkt gehabt hatte und er sich nun um sie kümmern müsse, dass seine Mutter mit der Pflege ihres Mannes überfordern sei? Alles war gelogen! Sie war nach Hamburg gefahren, weil sie Gunter überraschen wollte. Stattdessen hatte sie die Überraschung erlebt. Eva hatte mitbekommen, dass Gunter eine Familie hatte, nein, nicht seine Eltern. Sondern seine Frau und zwei Söhne. Und Eva war seine billige Affäre.
Eva war wütend. „Mehr als 20 Jahre später fall ich auf eine ähnliche Masche rein“, sie stellte das Wasserglas ab, was sie in der Hand hatte und ging ins Schlafzimmer. Seit ein paar Tagen nahm sie das Schwimmen wieder auf. Eine neue Arbeitsstelle hatte sie noch nicht gefunden. Stellen waren nun überall knapp. Als sie gerade ihren Badeanzug einpacken wollte, klingelte das Telefon. „Immer wenn man weg will“, stöhnte Eva, ging aber hin und nahm ab. „Frau Baal, schön, dass ich Sie erreiche. Ich hoffe, ich störe nicht?“, erklang die Stimme von Evelyn Kaltenbach. „Nein. Ich wollte zwar schwimmen gehen, aber das läuft ja nicht weg. Was haben Sie denn Wichtiges?“, wollte Eva wissen. Komisch kam es ihr schon vor, dass Kaltenbach nach so kurzer Zeit anrief. „Haben Sie schon von den Ereignissen gehört? Ach nur das. Leider hat es zwei Opfer gegeben. Frau Wellmann und Frau Liffers“, erklärte Kaltenbach. „Und wie kann ich Ihnen da helfen?“, verstand Eva noch immer nicht richtig. „Ich weiß, dass Sie wahrscheinlich nichts mehr mit Reutlitz zu tun haben wollen. Nach der Sache mit Herrn Brock. Aber ich würde Sie nicht anrufen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass Sie die Situation noch retten können. Bitte Frau Baal. Kommen Sie zurück. Ich setze mein ganzes Vertrauen in Sie“, hörte Eva aufmerksam zu. „Was ist mit Frau Adler? Sie hätten Sie sie doch nicht zur Leiterin gemacht, wenn Sie sich nicht sicher gewesen wären“, war sie noch nicht überzeugt.
„Das habe ich auch nicht gesagt. Aber in letzter Zeit ist soviel in Reutlitz passiert, allein schafft Frau Adler das nicht. Frau Schnoor hat sich eine längere Auszeit genommen, sonst hätte ich sie gefragt.“ Eva schwieg einen Moment. Ihr ging Brock durch den Kopf. Brock. Den würde sie wieder sehen und er wird ihr das Leben sicherlich nicht leicht machen, das wusste sie. „Frau Baal? Sind Sie noch dran?“, drang die Stimme von Kaltenbach in Evas Ohr. „Ja. Ja, ich bin noch dran. Wieso hat sich denn Frau Schnoor eine längere Auszeit genommen, gab es Differenzen?“, traf Eva mitten ins Schwarze. „Leider ja. Herr Brock hat ihr wohl ziemlich zugesetzt. Wie Sie ja wohl selbst wissen, kann man nicht so einfach kündigen. Er hat erstmal eine Abmahnung bekommen“, erklärte Kaltenbach. „Differenzen. Kann mir schon vorstellen, welcher Art die waren“, kam säuerlich von Eva. „Das müssten Sie Frau Schnoor dann selbst fragen. Kann ich denn mit Ihnen rechnen?“, hatte die Staatssekretärin weiterhin Hoffnung. „Frau Kaltenbach, es fällt mir schwer. Könnte ich Bedenkzeit bekommen?“, bat Eva.
„Ich kann verstehen, dass Ihnen das nicht leicht fällt. Gerade weil Sie dann wieder auf Herrn Brock treffen. Würden Ihnen drei Tage reichen?“, kam von Kaltenbach. „Ja, die reichen. Ich melde mich dann bei Ihnen. Ich danke Ihnen für Ihren Anruf.“ „Ich erwarte dann in drei Tagen Ihre Entscheidung. Auf Wiederhören“, wurden die Hörer aufgelegt.
Was war da eben passiert? Die Kaltenbach rief sie an, damit sie wieder die Leitung von Reutlitz übernehmen sollte. Eva überlegte. Was sollte sie tun?


 

Teil 2




„Wenn ich zurückgehe, treffe ich auf ihn“, war Eva noch immer keinen Schritt weiter. Eigentlich hatte sie vor, nie mehr zurückzugehen. Und nun? Nun wurde sie darum gebeten. Darüber musste sie erst mal nachdenken. Wieder ging sie ins Schlafzimmer und packte weiter ihre Schwimmsachen zusammen.

Sie fuhr mit dem Auto ins Olympiaschwimmbad und wollte ein paar Runden drehen. Wie lange war das her, seit sie das letzte Mal schwimmen war? „Etliche Jahre", sagte Eva zu sich selbst. Sie parkte das Auto, stieg aus und ging in das Gebäude. In dem Bad hatte sich viel verändert. „Ist ja auch eine Weile her, dass ich hier war“, zog sich Eva in der Kabine ihren Badeanzug an. „Es war die Klassenfahrt“, fiel es Eva wieder ein. Da hatte sie Engel bestraft. Für ihren Verrat. „Sie hat damals mein Geheimnis ausgeplaudert“, ging Eva Richtung Ausgang. Beim Schwimmen hatte sie nichts verlernt. Ihr Körper gewöhnte sich wieder recht schnell an das nasse Element. Damals hatte Eva ihr Seepferdchen und das Freischwimmerabzeichen gemacht. Ihr Vater hatte mehr oder weniger zugestimmt. Das Wasser tat Eva unglaublich gut. Wenn sie im Wasser war, gab es nichts anderes mehr um sie herum. Eva schaltete ihre Gedanken vollkommen ab. Sie wollte erst mal nur entspannen.

Danach fuhr Eva zurück. Sie hatte den Kopf frei, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Eigentlich wollte sie etwas Neues anfangen. Aber die Aussage der Kaltenbach, dass Birgit Schnoor sich eine längere Auszeit genommen hatte, da sie schwere Differenzen mit Brock hatte, ließ ihr keine Ruhe. Was hatte Brock getan, dass sie sich eine Auszeit nehmen musste? Eva wusste, dass Birgit nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen war. Außer. Sie musste kurz lächeln. Walter hatte damals das Gerücht gestreut, dass Eva lesbisch sei. „So ein Quatsch.“ Birgit hatte Abstand zu ihrer Kollegin genommen. Bis Eva es schließlich aufklärte. Das konnte Brock unmöglich gemeint haben. Wieso auch? Hatte er denn einen Grund dazu? Nein, es musste etwas anderes sein. Etwas, was Birgit Schnoor verletzt haben musste. Wie sie selbst. Ja, sie, Eva, hatte auch Gefühle. Nun wusste sie auch, warum sie diese jahrelang versteckt hatte. Wegen Leuten
wie Brock und Gunter Merk! Evas Entscheidung war eigentlich schon längst gefallen. Dennoch rief sie noch nicht bei Evelyn Kaltenbach an. Erst musste sie noch eine Nacht drüber schlafen. Vielleicht hatte Brock auch Jutta Adler zugesetzt. Alles das waren offene Fragen, die nur die betreffenden Personen Eva beantworten könnten.

Im Bett dachte Eva noch lange nach. Darüber, wie sie auf Brock reagieren würde. Natürlich hatte sie noch Zeit. Aber Eva tauchte nirgendwo unvorbereitet auf. Sie würde Brock die Stirn bieten und ihm heimzahlen, was ihr angetan wurde. Wie, das wusste sie noch nicht. Aber lange würde Edgar Brock nicht mehr in Reutlitz als Beamter tätig sein, das schwor sich Eva. Dann fiel sie in ein tiefen, diesmal traumlosen, Schlaf.



 

Teil 3


Die drei Tage Bedenkzeit waren vorbei. Evas Entscheidung hatte sich nicht geändert. Sie würde zurück nach Reutlitz gehen. Allein schon, um Brock den Kampf anzusagen.
Sie griff zum Telefon, nachdem sie die Nummer vom Ministerium rausgesucht hatte, und wählte sie. „Guten Tag. Hier ist Eva Baal“, sagte Eva in den Hörer, nachdem sie Evelyns Stimme vernahm. „Frau Baal. Schön, dass Sie sich melden. Wie ist denn nun Ihre Entscheidung ausgefallen?“, interessierte das Evelyn Kaltenbach sehr. „Ich habe mir die Entscheidung wirklich nicht einfach gemacht. Gerade weil so viele Erinnerungen daran hängen. Aber ich nehme Ihr Angebot gerne an und werde Reutlitz wieder leiten“, sprach Eva leise. Gerade so, als wenn sie ihre Zusage selbst erst realisieren müsste. „Das freut mich. Wirklich. Ich kann verstehen, dass Ihnen das nicht leicht gefallen ist. Sollte es Probleme geben, informieren Sie mich. Wann können Sie denn anfangen?“, gab Kaltenbach Eva ihr Wort. „Ich richte mich da ganz nach Ihnen.“ „Sie können am besten schon heute anfangen. Die Formalitäten erledigen wir davor aber noch. Kommen Sie einfach in mein Büro. Ich informiere so lange Frau Adler“, hörte man Kaltenbachs Stimme. „Ich bin dann in einer Stunde bei Ihnen. Auf Wiederhören“, verabschiedete sich Eva. Dann legte sie auf.

„Heute schon“, ging es Eva durch den Kopf. Das ging schneller, als ihr lieb war. Aber hätte sie Nein sagen sollen? Das wäre nicht gegangen. Dann hätte Kaltenbach sicher nach dem Grund gefragt. Und das wollte sie vermeiden. Erst mal zumindest. Eva blieb aber nicht länger Zeit zum Nachdenken. Wenn sie in einer Stunde im Ministerium sein wollte, dann müsste sie nun los. Schnell packte sie noch ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg.

Inzwischen hatte Evelyn in Reutlitz bei Jutta Adler in Reutlitz angerufen und ihr gesagt, dass sie Verstärkung durch Eva Baal bekommen würde. Jutta Adler war erfreut, aber auch verwundert. Wieso kam die Baal einfach so zurück. Evelyn hatte ihr zwar gesagt, dass sie Eva darum gebeten hatte. Aber warum sagte diese anscheinend so schnell zu? Grundlos war das sicherlich nicht. So gut kannte sie ihre ehemalige Kollegin und Vorgesetzte. Die Entscheidung musste etwas mit Brock zu tun haben. Da war Jutta Adler sich sicher. Sie war gespannt, wie Brock auf ihre Verstärkung reagieren würde. Sie würde erst mal zu niemanden ein Wort sagen. Außer ihrer Sekretärin. Frau Mohr musste ja soweit alles vorbereiten.

„Frau Kaltenbach erwartet Sie bereits“, sagte eine freundliche Frau und wies Eva den Weg zum Büro. Eva wartete ein paar Sekunden, bis sie hinein gebeten wurde. Im Büro hatte sich nichts verändert, obwohl sie so lange nicht mehr hier gewesen war. „Frau Baal, da sind Sie ja schon“, war Kaltenbach aufgestanden und reichte ihr zur Begrüßung die Hand. „Unpünktlichkeit war noch nie eine Schwäche von mir“, lächelte Eva leicht. „Das ist etwas, was ich an Ihnen schätze, Frau Baal“, legte sie ihr einige Blätter vor. „Das kennen Sie ja schon. Sie können sich Ihren Arbeitsvertrag noch einmal durchlesen“, kam von Kaltenbach, die Eva direkt ansah. „Ich habe nichts auszusetzen“, hatte Eva den Vertrag nach einigen Sekunden unterschrieben. „Schön. Wenn es Probleme mit Herrn Brock geben sollte, dann melden Sie sich einfach bei mir. Aber das sagte ich Ihnen ja schon“, nahm die Staatssekretärin den unterschriebenen Vertrag entgegen. „Ich denke, dass ich keine größeren Schwierigkeiten mit ihm haben werde. Da er ja schon eine Abmahnung hat, wird er sich wohl zusammennehmen. Wissen kann man das allerdings nie“, hatte Eva Zweifel, was Brock betraf. „Da haben Sie wohl Recht. Sie werden schon das Richtige tun. Ich habe da vollstes Vertrauen zu Ihnen“, erhob sich Evelyn von ihrem Stuhl. „Vielen Dank“, gab Eva zurück. „Dann wollen wir mal, oder? Ich freue mich, Sie wieder im Kollegium von Reutlitz begrüßen zu dürfen.“ Die beiden Frauen machten sich auf den Weg.

In weniger als einer halben Stunde wird Eva wieder ihrem alten Kollegen Brock gegenüberstehen. Ein mulmiges Gefühl machte sich bei Eva breit. Dieses zeigte sie aber nicht. Nicht noch einmal wird ihr so was, wie vor einigen Monaten passieren. Das nahm sie sich in ihren Gedanken fest vor.



 

Teil 4



„Habt ihr schon das Neuste gehört?“, kam Jeanette über die Station gerannt. „Was denn schon wieder?“, konnte Ilse die Aufregung gar nicht verstehen. „Gerade als ich bei der Mohr putzen war, kam die Adler zu ihr“, berichtete Jeanette. „Und was ist daran so ungewöhnlich? Macht sie sicher öfter am Tag“, grinste Ilse. „Ich habe gehört, wie sie ihr ins Ohr flüsterte, dass die Baal gleich kommt“, meinte Jeanette wieder. „Die Baal? Bergdorfer, du spinnst“, zeigte sie ihrer Mitinsassin den Vogel. „Wenn ich’s doch sage. Wirst ja gleich sehen. Die Baal muss gleich hier sein“, stolzierte Jeanette in ihre Zelle.

„Frau Adler, wieso kommt denn nun Frau Baal zurück?“, saß Möhrchen hinter ihrem Schreibtisch. „Möhrchen, ich habe dafür auch keine Erklärung. Sie wird es uns erklären, wenn sie hier ist“, war Jutta auch auf Evas Erklärung gespannt. „Ich glaub, sie kommen“, sah Mohr aus dem Fenster und sah ein Auto kommen. „Ich gehe sie mal abholen“, nahm Jutta die Türklinge in die Hand und verließ den Raum. Möhrchen blieb zurück. Sie seufzte kurz und tippte weiter an ihrem Bericht.

Währenddessen stiegen Evelyn Kaltenbach und Eva aus dem Weg und gingen über den Hof. Kurz vor dem Verwaltungsgebäude kamen Eva die Erinnerungen wieder hoch. Der Giftmüllskandal, Kaltenbach, wie sie Jutta Adler bat, dass sie sie begleiten sollte. Brock, der sie zu ihrem Rücktritt zwang. Erst da hatte sie das ganze Unheil verstanden. Da wurde ihr bewusst, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatte. Der Giftmüllskandal. Warum war sie so leichtgläubig? Sie hätte es besser nachprüfen lassen müssen. Sie hätte wissen müssen, dass dieser Elsholz mit Natascha Sanin zu tun hatte. Wieso hat sie nur nicht auf ihr Gefühl gehört? Normal wollte sie ja gar keine Zusammenarbeit. Wieso hatte sie sich dazu breitschlagen lassen? Darauf würde sie erst mal keine Antwort finden. „Frau Baal?“, hörte sie eine Stimme. „Ist alles in Ordnung?“, kam von Evelyn. „Ja. Ja, alles in Ordnung. Ich musste nur eben an etwas denken“, hüllte sich Eva eher ins Schweigen. „Wirklich? Sie wirkten gerade so abwesend“, fiel der Staatssekretärin auf. „Es ist wirklich alles in Ordnung“, ging Eva nicht weiter darauf ein und öffnete die Tür. „Frau Baal. Frau Dr. Kaltenbach“, begrüßte Jutta Adler die beiden Frauen. „Schön, dass Sie uns abholen. Lassen Sie uns ins Büro gehen. Da erkläre ich Ihnen alles“, schlug Kaltenbach vor. Jutta und Eva folgten ihr. Eva spürte die fragenden Blicke von Jutta. Tat aber nichts, was Jutta Antworten auf ihr Dasein geben würde. Eine Erklärung müsste sie ihr dennoch geben. Eva wusste, dass Jutta sich nicht damit zufrieden geben würde, wenn Eva ihr sagt, dass sie von Kaltenbach gebeten wurde. „Für Erklärungen blieb noch genügend Zeit“, sagte sich Eva in Gedanken und ging schweigend weiter.

„Frau Dr. Kaltenbach. Schön, dass Sie uns mal wieder besuchen kommen“, freute sich Möhrchen über das Erscheinen der Staatssekretärin. „Hallo, Frau Mohr“, reichte sie der Sekretärin die Hand, „es wurde mal wieder Zeit, vorbeizuschauen. Bringen Sie uns drei Tassen Kaffee“, sah sie vorher Jutta und Eva an, die zustimmend nickten. „Natürlich. Mit Milch und Zucker?“, stellte Möhrchen schon mal drei Tassen bereit. „Vielen Dank, Frau Mohr. Bitte gehen Sie schon mal vor. Ich hab Frau Mohr noch kurz etwas zu sagen“, bat Evelyn die beiden Frauen schon mal vor zu gehen. „Frau Mohr, bitte sagen Sie noch kein Wort. Zu niemandem. Ich möchte das erst besprechen. Ich kann mich doch auf Sie verlassen, oder?“, bat sie eindringlich. „Darauf machte mich Frau Adler auch schon aufmerksam. Ich sage kein Wort“, gab Mohr ihr Versprechen. Sie wusste, auch wenn Evelyn Kaltenbach es nicht aussprach, dass damit Brock gemeint war. Evelyn lächelte und ging ebenfalls ins Büro, schloss die Tür. Möhrchen goss gerade Kaffee ein, als sich die Tür öffnete. „Was macht denn Frau Dr. Kaltenbach hier?“, vernahm sie die Stimme von Edgar Brock. „Es tut mir Leid, aber das darf ich Ihnen leider nicht sagen“, hielt sie ihr Wort und schwieg über den Grund des Besuchs. „Frau Mohr, was macht Frau Dr. Kaltenbach hier?“, wurde sein Tonfall schon schärfer. Möhrchen zuckte zwar kurz zusammen, bewies aber Mut. „Das werden Sie schon früh genug erfahren, Herr Brock“, sagte sie und ging mit dem Tablett ins Büro der Anstaltsleitung, schloss aber sofort die Tür, nachdem sie eingetreten war.
“Ist sie schon lange da?“, fragte er erneut, als Möhrchen wieder aus der Tür kam. „Ich sagte doch, das erfahren Sie noch früh genug“, war sie langsam von der Hartnäckigkeit von Brock genervt. „Dann warte ich eben hier so lange“, nahm er auf einen Stuhl Platz. Sybille Mohr verdrehte leicht die Augen. Sie mochte Edgar Brock noch nie gern. Sie setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch und machte sich Gedanken, wie das Zusammentreffen von Edgar Brock und Eva Baal wohl sein wird. Angespannt tippte sie ihren Bericht weiter.


 

Teil 5





„Frau Adler, ich hatte Sie ja bereits informiert, dass Sie Verstärkung durch Frau Baal bekommen“, begann Evelyn das Gespräch. Jutta nickte freundlich. „Das hat nichts mit Ihrer Kompetenz zu tun. Dadurch, dass Frau Schnoor erst mal ausfällt und es sonst keinen gibt, der für diesen Job geeigneter ist, bat ich Frau Baal.“ „Das ist… Es kommt ziemlich überraschend. Noch vor ein paar Monaten gab Frau Baal Ihren Rücktritt bekannt und jetzt…“, fehlten Adler die Worte. „Herr Brock ist ja indirekt für den Rücktritt verantwortlich. Ich hatte das Gefühl, dass Sie ein gutes Team sind und an einem Strang ziehen. Sie sind beide sehr gute Leiterinnen für diese JVA. Deswegen denke ich, dass Sie die momentane Situation sicher meistern werden“, war Kaltenbach zuversichtlich. „Was mich allerdings interessieren würde, was Sie genau zu Ihrer Rückkehr bewogen hat, Frau Baal“, wandte sich Jutta an ihre zukünftige Kollegin. Eva schwieg. „Das sollten Sie alleine besprechen. Mir ist es nur wichtig, dass solche Vorkommnisse nicht mehr passieren“, kam von Evelyn Kaltenbach. „Sie haben Recht. Ich denke, dass wir das schon schaffen. Oder Frau Baal?“, lächelte Jutta sie an. „Das denke ich auch“, war sie eher abwesend. „Herr Brock sitzt draußen und fragt, wieso Sie hier sind, Frau Dr. Kaltenbach“, ging Eva der Satz von Sybille Mohr nicht aus dem Kopf. „Frau Baal? Sie werden erst mal hier warten. Ich werde mit Herrn Brock sprechen“, ahnte Evelyn, dass Eva wegen ihm so abwesend war. „Danke. Das ist aber nicht nötig“, wollte Eva dieses Angebot eher ablehnen. „Nötig vielleicht nicht. Aber angebracht. Ich wollte ihm eh noch etwas sagen“, erhob sich die Staatssekretärin. „Wie Sie meinen“, blieb Eva sitzen.

„Wieso brachten Sie eigentlich drei Tassen Kaffee ins Büro? Hat sie jemanden mitgebracht?“, vermutete Brock. Möhrchen wollte gerade etwas sagen, als Evelyn das Vorzimmer betrat. „Ich bat Frau Mohr, mir drei Tassen Kaffee zu bringen. Haben Sie damit irgendein Problem?“, sagte sie ihm auf den Kopf zu. „Nein, natürlich nicht. Ich frage mich nur, was Sie hier machen. Sie haben doch sicherlich im Ministerium genug zu tun“, war er plötzlich sehr charmant. „Da haben Sie wohl Recht. Das ist aber noch lange keinen Grund, Frau Mohr unter Druck zu setzen. Oder wollen Sie nun abstreiten, dass Sie sie nicht mehrmals gefragt haben, wieso ich hier bin?“, imponierte Evelyn die charmante Art überhaupt nicht. „Nein. Doch. Ich habe Frau Mohr gefragt. Und als sie es mir nicht sagen wollte… Na ja, ich dachte eben, dass sie es nur mir nicht sagen wollte“, wusste Edgar Brock nicht so recht, was er antworten sollte. „Dass es so eine Art Schweigepflicht bei manchen Dingen gibt, wissen Sie aber schon, oder?“, sah sie ihn streng an. „Sicher. Es war ja auch gar nicht so gemeint“, senkte er seinen Blick. „Sollte so etwas noch einmal passieren, erhalten Sie eine weitere Abmahnung und was das bedeutet, muss ich Ihnen wohl nicht sagen“, blieb Evelyn hart. „Ja, Frau Dr. Kaltenbach“, sagte der glatzköpfige Beamte. „Kann ich jetzt gehen?“, fühlte er sich etwas unwohl. „Einen Moment noch. Ich möchte Ihnen noch eine Kollegin vorstellen“, verriet sie dabei nicht, dass es sich dabei um Eva Baal handelte. „Neue Kollegin?“, sah er sie an. „Ja, eine Kollegin. Frau Mohr, würden Sie sie bitte holen?“ Möhrchen sprang sofort auf und lief zur Bürotür. „Frau Dr. Kaltenbach möchte, dass Sie nun rauskommen“, rief sie in das Zimmer rein. Danach setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch.

„Herr Brock, das ist Ihre neue Kollegin“, sagte Kaltenbach zu ihm. Edgar Brock traute seinen Augen kaum. Vor ihm stand Eva Baal. „Herr Brock. Nett, Sie wiederzusehen“, kam ironisch von Eva. Brock sagte kein Wort. Für ihn war das ein Schock.


 

Teil 6




„Frau Baal. Mit Ihnen hätte ich nun am allerwenigsten gerechnet“, fand der Beamte langsam seine Sprache wieder. Eva nickte nur. Es war ein skeptisches Nicken. „Es scheint ja nun alles geklärt zu sein. Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Ich werde wieder vorbeischauen“, reichte Kaltenbach Eva und Jutta ihre
Hand. „Natürlich.“ Danach wandte sich Evelyn Kaltenbach an Möhrchen. „Vielen Dank für den Kaffee, Frau Mohr“, lächelte sie ihr zu. „Gern geschehen.“ Brock sah die Staatssekretärin erwartungsvoll an. Anscheinend erhoffte er sich, dass sie noch etwas zu ihm sagte. „Herr Brock“, nickte sie ihm aber nur streng zu. Danach verließ sie das Zimmer.

„Herr Brock, Sie können nun wieder Ihrer Arbeit nachgehen“, sprach Jutta ihn an, als er immer noch starr im Büro stand. „Ja, sicher. Schön, dass Sie wieder da sind, Frau Baal“, kam stockend von ihm. Wieder nickte Eva nur. Er sah sie noch einige Sekunden an. Dann drehte er sich weg, setzte seine Dienstmütze auf und verließ ebenfalls den Raum.

Jetzt versucht er es auf die charmante Art“, kam von Jutta, als sie allein waren. „Wenn er meint, dass er mich damit wieder einwickeln kann… Dann hat er sich sehr getäuscht. Das wird er noch merken“, sagte Eva. Ihr gefiel Brocks Art überhaupt nicht. Dass er vergessen hat, was er getan hatte, das glaubte sie
nicht. Er wollte keinen schlechten Stand bei ihr haben. Das war alles. „Mit der Art konnte er auch bei der Kaltenbach nicht landen. Wie man gerade gemerkt hat“, schmunzelte Jutta Adler ein bisschen. „Ich glaube aber, dass es nicht das letzte Mal war, dass er das versucht hat“, war Eva sich sicher. „Da haben Sie wohl recht. Ich hatte eigentlich gedacht, dass Sie mit Reutlitz für immer abgeschlossen haben“, sah Adler Eva direkt an. „Das dachte ich eigentlich auch. Aber dann kam der Anruf von Frau Dr. Kaltenbach“, erzählte Eva. „Sie hat mir ein bisschen von den Vorkommnissen erzählt. Können Sie mir vielleicht sagen, was genau vorgefallen ist? Vor allem zwischen Frau Schnoor und Herrn Brock“, sah Eva ihre Kollegin an. „Kommen Sie mit ins Büro. Da erzähl ich es Ihnen genau“, ging Jutta Adler voraus.

„Güstrow? Na, da hatten Sie sicher alle Hände voll zu tun“, war Eva erstaunt, als sie die Geschichte hörte. „Das stimmt. Es gab nur noch Streit, angeheizt von denen aus Güstrow“, berichtete Jutta weiter.
„Und die Sache mit Frau Liffers?“, fragte Eva weiter. „Frau Liffers“, musste Jutta schwer atmen.
„Niemand hat bemerkt, dass sie so krank ist. Auch ich nicht. Es merkte wirklich niemand“, wollte sich Jutta rechtfertigen. „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie kam als Mörderin hierher und ja, sie hatte eine eigenartige Art an sich. Keiner wäre aber auf diese Idee gekommen, dass es so schlimm mit ihr ist.“
„Frau Wellmann musste auch ihr Leben lassen. Ich hoffe, dass so etwas nie mehr vorkommt“, keimte in der bisherigen Anstaltsleiterin eine kleine Hoffnung. „Zusammen schaffen wir das. Nun zu der Sache mit Schnoor und Brock. Was hat er denn so Schlimmes gesagt, dass Frau Schnoor eine Auszeit braucht? So
kenne ich sie ja gar nicht“, hoffte sie ein wenig mehr über die Geschichte zu erfahren. „Ich weiß ja nicht, ob es Frau Schnoor Ihnen mal gesagt hat, aber vor einigen Jahren war sie schwanger“, erklärte Jutta. „Frau Schnoor war schwanger? Nein, ich wüsste nicht, dass sie es mir mal gesagt hätte. Was hat denn Brock damit zu tun?“, war Eva nun sehr gespannt. „Sie hatte eine Beziehung zu einem ehemaligen Kollegen. Uwe Grauel. Er hat sich umgebracht. Hatte Kinder und Nancy Konnopke fotografiert und…“, brachte Jutta den Satz nicht zu Ende. An Evas Gesicht sah man, dass sie verstand, was gemeint war.
„Birgit hat davon nichts gewusst. Als dann Miriam Overberg zu Besuch war, fanden sie es raus. Er konnte so nicht weiterleben und hat sich auf Station C selbst mit einem Schuss getötet.“ „Wie grausam“, kam nur von Eva. Irgendwie erinnerte sie das an ihren Vater. Vielleicht musste Martin Pohl auch so sterben.
Sie schüttelte den Kopf. Das war ein anderes Thema. „Dann stellte sie fest, dass sie von ihm schwanger ist?“, wollte sie stattdessen wissen. „Ja. Birgit hat lange überlegt, ob sie dieses Kind überhaupt bekommen sollte. Aber sie hatte sich schon so lange eins gewünscht“, musste Jutta Adler ein wenig lächeln. „Und wieso hat sie es dann verloren?“ „Miriam war dann Leiterin. Kalle Konnopke hatte
raus gefunden, dass Birgit mit Grauel eine Beziehung hatte und war sich sicher, dass Birgit wusste, was er mit Nancy gemacht hat. Sie ist mit ihr auf die Krankenstation…“ „Und dann ist Kalle Konnopke ausgeflippt?“, setzte sich Eva das Puzzle zusammen. Nachdem Jutta zu Ende erzählt hatte, wusste sie
schon beinah selbst, was Brock gesagt haben könnte. „Birgit kam gut zurecht damit. Bis Brock sagte, dass sie sich besser keinen Mann mehr nehmen sollte. Sonst wäre es mit Sicherheit wieder ein Schwein“, musste Jutta schlucken bei den Erzählungen. „Das hat sie sicher sehr mitgenommen. So ist er. Einem
immer an der schwächsten Stelle treffen“, kam die Wut wieder in ihr hoch. „Ja, so ist er. Wir müssen was machen. Wer weiß, zu was der Mann sonst noch fähig ist“, zog Jutta die Augenbrauen hoch. „Keine Sorge. Lange wird er nicht mehr hier sein“, wollte auch Eva ihn loswerden. Und das würde sie auch schaffen.


 

Teil  7


„So  einfach wird es aber nicht sein“, kam von Adler. „Das weiß ich. Aber
selbst ein  Edgar Brock wird irgendwann mal einen Fehler machen. Und das wird
ihm dann das  Genick brechen. Dann sehen wir ihn hier nicht mehr“, war Eva davon überzeugt.  „Hoffentlich haben Sie recht. Nun lassen Sie uns aber erst mal
auf Station  gehen“, schlug Jutta vor. „Gut, kommen Sie“, ging Eva  voraus.
Auf  Station war eine Menge Wirbel los. Jeanette hatte vor wenigen Minuten
erzählt,  dass Evelyn Kaltenbach gerade wieder wegfuhr. Nun war Jeanette noch
mehr davon  überzeugt, dass die Baal wiederkommt. Jeder war natürlich skeptisch. Immerhin  war ja irgendwas vorgefallen. „Walter, die kommt wieder, glaub es mir“, redete  Jeanette auf sie ein. „Bergdorfer! Nerv mich nicht. Ich werde es schon sehen.  Und jetzt, halt die Klappe und lass mich in Ruhe“, wollte
Walter ihre Ruhe  haben. Diese Aufregung verstand sie überhaupt nicht. Wenn die Baal kommen  sollte, wird sie das schon. Jeanette lief wie ein aufgescheuchtes Huhn über die  Station. „Mensch bleib ruhig. So nett war sie ja nun auch wieder nicht. Denk nur  mal an Jule“, erinnerte Ilse sie daran. „Ja, das stimmt. Trotzdem. Mich  interessiert, was sie hier macht“, ließ sich Jeanette nicht
beirren. „Wenn du  meinst“, hatte Ilse keine Lust mehr auf diese Diskussion.
Jeanette zog die  Augenbrauen hoch und ging zur Treppe, sah direkt auf die
Gitterschleuse.
„Ob  Brock den Insassinnen schon etwas gesagt hat?“, fragte Jutta auf dem
Weg zur  Station. Eva blickte sie an. „Nein, das glaube ich nicht. Er wird das
erst mal  selbst realisieren müssen“, lächelte Eva ein wenig. Sie wusste zwar
nicht genau,  ob Brock Angst hatte. Aber sie hatte bemerkt, dass ihm die Sache
nicht  sonderlich gefiel. Er wusste, dass Eva eine starke Persönlichkeit war.
Sie war  gespannt, ob er noch einmal auf sie zukäme und sie um Verzeihung bat.
Immerhin  war er nicht unschuldig an ihrer Kündigung. Sie würde einfach
abwarten müssen.  „Wahrscheinlich haben Sie recht“, kam wieder von Jutta. Sie sah Eva von der  Seite an. „Alles in Ordnung?“, fragte sie etwas misstrauisch. „
Ja, natürlich.  Ich habe nur etwas überlegt“, ging Eva ohne ein weiteres Wort
weiter. Jutta  sagte nichts. Sie ahnte, dass Eva über Brock nachgedacht haben
musste. Es wurde  ihr immer bewusster, dass Edgar Brock immer mehr
Gemeinsamkeiten mit Jörg  Baumann hatte. Gut, er hatte den Insassinnen noch mehr geschadet. Sogar einen  Mord begangen. Dennoch war Jutta sich nicht sicher, ob Brock nicht auch dazu  fähig war. Schnell suchte sie den Anschluss an Eva, die schon einige Schritte  weiter waren.
„Da  kommen sie“, rief Jeanette, als sie sah, dass sich die Gitterschleuse
öffnete.  „Nun werden wir ja sehen, ob du recht hattest, Jeanettchen“, machte
sich Walter  noch immer über sie lustig. Doch schnell verschwand ihr Grinsen,
als sie Jutta  erblickte, an ihrer Seite war tatsächlich Eva Baal. „Das glaub ich
jetzt nicht“,  ließ sie ihre Zigarette sinken und starte auf die beiden
Schließerinnen. „Siehst  Walter, i hatte recht“, grinste nun Jeanette. „Meine
Damen, dürfte ich bitte um  Ihre Aufmerksamkeit bitten“, sagte Jutta laut. Alle
Insassinnen kamen ein Stück  näher. Dieses Mal interessierte es wirklich alle,
was Jutta Adler zu sagen  hatte.
„Wie  Sie alle sehen, ist Frau Baal wieder da. Durch die schlimmen
Vorkommnisse der  letzten Wochen, werden Frau Baal und ich nun versuchen, dass so was nicht wieder  vorkommt“, erklärte Adler. „Eine Doppelspitze?“, fragte Ilse erstaunt. „Das  entscheiden wir noch. Das wollten wir Ihnen nur mitteilen“,
sprach sie weiter.  „Na, da wird sich ja einer besonders freuen“, schaute Walter
zu Brock, der im  Aquarium saß. Sein Blick sagte aus, dass er nicht wirklich
von dem Wiedersehen  begeistert war. „Das tut nichts zur Sache. Frau Adler und
ich wollen nur  verhindern, dass so etwas Schreckliches nicht noch einmal
passiert. Schönen Tag  noch“, drehte sich Eva zum Aquarium und sah Brock streng an. Auch Brock schaute  sie lange an, dann ging sein Blick wieder zur Zeitung. Eva schüttelte unmerklich  den Kopf und verließ dann die Station.

 

Teil  8


„Seht  ihr, ich hatte recht“, kam von Jeanette. „Ist ja gut. Ja, du hattest
recht.  Erstaunlich ist das trotzdem“, kam von Walter. „Wieso?“, wusste Ilse
nichts mit  der Aussage anzufangen. „Na, überleg doch mal. Erst kündigt die
Baal, was nicht  mal so lange her ist. Und jetzt kommt sie wieder. Das Ganze hat
sicherlich einen  Grund“, überlegte sie. „Vielleicht hat die Kaltenbach die
Baal auf Brock  angesetzt. Kann doch sein, dass sie so versucht, ihn
loszuwerden“, grinste Ilse.  „Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Die Kaltenbach fährt nicht auf so einer  Schiene. Da muss was anderes dahinterstecken“, ging Walter gedankenverloren über  die Station.
Brock  saß noch immer im Aquarium und schaute verbissen über die Station. Ihm
passte es  ganz und gar nicht, dass Eva wieder seine Vorgesetzte war. Erst
vermasselte sie  ihm den Posten, der dann mit Jutta Adler besetzt wurde und nun
kehrt die Baal  zurück. Das wollte nicht in seinen Kopf. Er musste versuchen,
sie wieder  loszuwerden. Nur wie, wusste er noch nicht. Er würde einen Partner
brauchen. Er  sah wieder auf die Zeitung, die vor ihm lag.
„Herr  Brock ist nicht gerade begeistert“, kam von Adler, als sie mit Eva
wieder im  Büro war. „An seiner Stelle wäre ich das auch nicht. Er denkt sich
sicher schon  einen Plan aus, wie er mich wieder los werden kann“, kannte Eva
ihren Rivalen  genau. „Denken Sie wirklich? Ich habe eher das Gefühl, dass er sich etwas fürchtet,  dass Sie irgendwas mit ihm machen könnten, dass ihm dann seinen Job kostet“, war  Jutta verunsichert. „Brock ist das egal. Er kann keine Konkurrenz ertragen. Er  wird alles versuchen, damit ich wieder gehe. Aber
diesmal schafft er das nicht.  Ich glaube, dass Brock sich Hilfe von einem
Kollegen holen wird“, überlegte Eva,  wie sie ihn am besten überführen könnte. „Wer sollte das denn sein? Haben Sie denn  schon eine Idee?“, war Jutta Adler
überfragt. „Überlegen Sie doch mal. Es gibt  nur einen, den er sich als Partner
holen könnte“, gab Eva ihrer Kollegin Tipps.  „Sie meinen doch nicht etwa Peter
Kittler?“, riss Jutta die Augen auf. „Genau  den meine ich. Nur er käme dafür in
Frage. Ihn sollten wir im Auge behalten“,  war sich Eva ihrer Theorie sehr
sicher. „Sie haben wohl recht. Peter war ja  schon immer so. Wieso sollte sich
das also geändert haben“, war nun auch die  Schließerin überzeugt. „Weiteres
besprechen wir aber morgen. Dann besprechen wir  auch, was mit Frau Schnoor ist. Ich möchte erst mal ihre Version hören“, zog  sich Eva ihre Jacke an. „Ich
werde sie heute Abend mal anrufen, ob sie morgen  mal hierher kommen könnte“, machte sie den Vorschlag. „Gut, wenn sie sich aber  noch nicht dazu bereit fühlt, versteh ich das. Sie soll bloß nichts  überstürzen“, zeigte Eva Verständnis. Früher wäre sie da anders gewesen. Sie  hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert, das musste sie zugeben. „Dann  bis morgen. Schönen Feierabend“, verabschiedeten sich die beiden  Frauen.
Als  Eva abends im Bett lag, musste sie an die letzten Jahre denken. Wie sie
das  erste Mal als Schließerin in Reutlitz war. „Ich habe viele Dinge falsch
gemacht“, sagte sie zu sich selbst. Conny Starck, die sie gequält hatte um sie
zu einem besseren Menschen zu machen. Sabine Sanders, die sie bloßstellen
wollte  und die hinter Evas Geheimnis kam. Jule Neumann, die sie wieder an die
Nadel  bringen wollte. Die sie den anderen Frauen zum „Fraß“ vorwarf und sich
in der  Wäscherei erhängte. Das war alles die Schuld von Werner Baal, ihrem
Vater. Seit  dem Prozess damals hatte sie ihn nicht mehr gesehen. „Er war nicht
viel besser  als sie“, verhärteten sich die Gesichtszüge von Eva. „Ich muss
mit ihm  abschließen“, nahm sich Eva vor. Sie wusste, dass sie ihn dazu im
Gefängnis  besuchen müsste. Doch bevor sie das tun konnte, musste sie erst die
Sache mit  Brock klären. Vorher hätte sie keine Kraft dafür. Mit diesem Gedanken
schlief  sie schließlich ein.

 

Teil  9


Am  nächsten Tag wurde Eva ganz aufgeregt von Möhrchen empfangen. „Gut, dass Sie da  sind, Frau Baal“, kam sie stürmisch auf Eva zugelaufen. „Was gibt es
denn so  Dringendes, Frau Mohr?“, wollte Eva etwas irritiert wissen. „Herr
Brock. Er  sitzt in Ihrem Büro“, berichtete die Sekretärin. „Ich verstehe. Dann
werde ich  mich mal um ihn kümmern“, kam nicht gerade erfreut von ihr. Sie
hing ihren  Mantel hin und ging in ihr Büro. Möhrchen knetete leicht ihre Hände
und setzte  sich wieder in ihren Schreibtisch. Sie war gespannt, wie das
Gespräch verlaufen  würde. Brock  saß etwas gelangweilt in seinem Stuhl. Als er ein Klappern an der Tür hörte,  drehte er sich zu dieser um. „Herr Brock, was verschafft mir die Ehre?“, kam  etwas zynisch von Eva, als sie die Tür von ihrem Büro geschlossen hatte. „Es  freut mich, dass Sie wieder hier sind“, kam von ihm. Eva hatte sich in ihren  Stuhl gesetzt und zog die Augenbrauen hoch. „Das soll ich Ihnen glauben?“, kam  von ihr. „Ich weiß, dass ich viel falsch gemacht hab und das tut mir wirklich  Leid. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder normal miteinander umgehen können“,  kam ruhig von Brock. Eva wusste nicht so recht, was sie antworten sollte. „Es  wäre erst mal schön, wenn Sie Ihre Arbeit gewissenhaft machen. Alles andere wird  sich zeigen“, sah sie ihn direkt an. „Wie Sie wünschen. Dann werde ich mal  wieder gehen“, erhob er sich vom Stuhl. Eva lächelte verhalten. Danach verließ  der Beamte den Raum.
Eva  lehnte sich entnervt auf ihrem Stuhl zurück. Sie wusste, dass etwas
hinter dem  Verhalten von Edgar Brock steckte. Sie spielte das Spiel nur mit, um
ihn nicht  misstrauisch zu machen. Brock war ein Fall für sich. Das wusste Eva.
Deswegen  musste sie auch äußerst vorsichtig sein. Wenn er merkte würde, dass
sie hinter  seine Strategie gekommen ist, würde er diese ändern. Dann würde
es noch länger  dauern, ihn loszuwerden. „Was wollte Herr Brock denn von Ihnen?“, stand Sibylle  Mohr plötzlich im Raum. Eva zuckte leicht zusammen.
Irgendwie musste sie wohl in  ihren Gedanken versunken sein. „Er wollte nur sagen, dass er froh bin, dass ich  wieder hier bin“, gab Eva ungefähr das wieder, was Brock sagte. Die Frau aus dem  Vorzimmer schaute etwas verdutzt. Mit allem hatte sie bei Brock gerechnet, aber  mit dem rein gar nicht. „Aha“, sagte sie daher nur. „Würden Sie mir einen  starken Kaffee machen? Den könnte ich jetzt gebrauchen“, sah Eva sie an.  „Natürlich. Kann ich sogar verstehen“, rutschte es Möhrchen raus. Sofort hielt  sie sich die Hand vor den Mund. „Ihr Kaffee kommt sofort“, sagte Möhrchen  stattdessen und verließ den Raum wieder. Eva  schüttelte leicht den Kopf. Möhrchen schien auch nicht besonders gut auf Brock  zu sprechen zu sein. Das war aber auch kein Wunder. Brock war nun mal kein  Sympathieträger. Weder bei den Kollegen, noch bei den Insassinnen. „Bald muss  man ihn sowieso nicht mehr ertragen“, sagte sie zu sich  selbst.
„Hier  ist Ihr Kaffee“, stand Minuten später Mohr erneut im Raum. „Vielen
Dank, Frau  Mohr“, nahm Eva die Tasse entgegen. „Ach, das hab ich vorhin vor
lauter  Aufregung ganz vergessen. Frau Adler rief heute Morgen an. Sie kommt
später. Hat  wohl noch was mit Frau Schnoor zu sprechen und bringt sie dann wohl gleich mit.  Die arme Frau Schnoor hatte es in den letzten Wochen ja auch
nicht einfach. Bei  dem, was Brock wohl mit ihr veranstaltet hat. Da musste es ja
irgendwann  passieren, dass sie zusammenbricht“, plapperte Möhrchen einfach
drauf los. Eva  wurde hellhörig und zog die Augenbrauen hoch. „Wissen Sie denn
etwas  Genaueres?“, sah Eva die Sekretärin direkt an. Möhrchen schwieg. Wieso
musste  sie auch immer ihren Mund aufmachen. Das wurde ihr damals schon einmal zum  Verhängnis. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen kann“, war Möhrchen unsicher. „Es passiert Ihnen nichts. Ich möchte doch nur wissen beziehungsweise herausfinden,  ob Herr Brock für Reutlitz in der kommenden Zeit noch tragbar ist“, sagte Eva  ruhig. Sie wusste, dass Sybille Mohr nicht so gern Kollegen verriet und es immer  jedem recht machen wollte. Nach diesen Worten kam Möhrchen ins Grübeln.

 

Teil 10

 

 

Na ja“, stammelte Mohr etwas. „Setzen Sie sich doch erst einmal“, machte Eva eine Handbewegung. „Vielen Dank. Also Frau Schnoor wurde wieder an ihr Kind erinnert. Was der Auslöser war, weiß ich nicht genau. Er hat sie auch nicht sexuell bedrängt oder so, glaub ich zumindest. Aber er muss sie an die Geschichte mit Grauel erinnert haben. Entschuldigung, Herr Grauel. Frau Schnoor ist dann im Büro zusammengebrochen und hat bitterliche Tränen geweint. Die Arme. Sie tut mir so Leid“, war Mohr selbst den Tränen sehr nah. „Danke, Frau Mohr. Eine Frage habe ich da noch. Denken Sie, Herr Brock wird so weitermachen wie bisher?“ Eva sah ihre Sekretärin erwartungsvoll an. „Ich denke schon. Ich will Ihnen nichts vorschreiben. Aber an Ihrer Stelle wäre ich bei ihm sehr vorsichtig. Niemand hat so etwas verdient. Dieser Mensch ist einfach grausam“, entlud sich die Wut bei Sybille Mohr. „Keine Sorge. Ich werde auf mich aufpassen. Vielen Dank für die Informationen. Sie können nun wieder an Ihre Arbeit gehen.“ Eva lächelte etwas. Möhrchen erhob sich und ging zur Tür. An der drehte sie sich noch einmal um. „Sie haben sich sehr verändert, Frau Baal.“ Danach ging sie.

 

Nun wusste Eva schon mal, dass Birgit nicht sexuell belästigt wurde. „Hoffentlich kann sie schon über die Sache sprechen“, sagte sie zu sich selbst.“ Sie machte sich einige Notizen. Bald würden Jutta Adler und Birgit Schnoor eintreffen.

 

Nur wenige Minuten später hörte Eva Stimmen im Vorzimmer. Sie erhob sich aus ihrem Stuhl, ging zur Tür und öffnete sie. „Frau Schnoor, wie geht es Ihnen denn?“, drückte Mohr gerade die Hand der Vollzugsbeamtin. „Danke, Möhrchen. Schon besser. Diese Auszeit habe ich wirklich mal gebraucht.“ Eva kam einige Schritte näher. „Frau Schnoor, schön dass es Ihnen wieder besser geht“, reichte Eva ihr die Hand. „Hallo, Frau Baal. Jutta hat mir schon berichtet, dass Sie wieder da sind und mich sprechen wollten“, zog sich Schnoor ihre Jacke aus. „Ja, das wollte ich. Wenn Sie sich dazu bereiten fühlen. Ich möchte Sie unter keinen Umständen unter Druck setzen.“ Birgit Schnoor schüttelte den Kopf. „Das ist schon in Ordnung. Es tut mir sicher mal ganz gut, darüber zu reden.“ Eva erstarrte für einen Moment. Birgit Schnoor sprach das aus, wovor sich Eva die ganze Zeit drückte. Eigentlich würde es ihr auch einmal ganz gut tun, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Sie hatte sich zwar in den letzten Jahren verändert, was sie auch selbst nicht bestreiten konnte. Sie merkte dennoch, dass etwas Schweres auf ihrer Seele lag. Etwas, worüber sie bis heute nicht reden konnte. Nicht mal weinen war möglich. Eva hatte panische Angst davor. Damals hatte sie sich auch zusammengerissen. Damals, als sie Werner Baal in seinem Büro besuchte. Sie schüttelte die Gedanken an ihren Vater ab und kehrte in die Realität zurück. „Da haben Sie wohl recht. Dann kommen Sie mal mit.“ „Soll ich dich begleiten?“, legte Jutta ihre Hand auf die Schulter von Birgit. „Das ist nett. Aber ich werde das allein schaffen“, lächelte sie dankbar.

 

Also noch mal. Schön, dass Sie gekommen sind“, saß Eva wieder in ihrem Stuhl. „Kein Problem. Jutta hat mir schon gesagt, dass Frau Dr. Kaltenbach Sie zurückgeholt hat. Ich hoffe doch nicht nur meinetwegen.“ „Nein, nicht nur. Aber es machte mich schon stutzig, warum Sie eine Auszeit benötigt haben. Frau Adler und Frau Mohr haben mir schon ansatzweise erzählt, was zwischen Ihnen und Brock vorgefallen ist. Mich würde Ihre Version interessieren.“ Birgit Schnoor überlegte einen Moment. Sie war sich zwar sicher, dass sie über die Sache reden wollte. Dennoch fiel es ihr schwer. „Frau Adler hat Ihnen sicherlich erzählt, dass ich mal schwanger war und das Kind durch eine Geiselnahme verloren habe“, begann die Beamtin zu erzählen. „Das hat sie mir erzählt, ja. Es tut mir sehr Leid für Sie“, meinte es Eva ehrlich. „Schon gut. Ich kam ganz gut klar dann. Auch damals mit den Kommentaren der Kollegen. Aber Brock hatte immer und immer damit angefangen. Dass ich doch immer wieder an solche Schweine geraten würde und ich nichts Besseres verdient hätte“, stockte Birgit mehrmals im Satz. „Das war aber nicht der Auslöser für Ihren Zusammenbruch, oder?“, vermutete die Leiterin, die früher sonst kaltherzig war. „Nein, der Auslöser war ein anderer.“ Sie schluckte. „Er sagte, wenn ich noch mal ein Kind haben wolle. Dann würde er mir eins machen. Aber… das wäre dann auch ein… Kind von einem Schwein.“ Tränen rollten über das Gesicht von Birgit Schnoor. Alles kam wieder in ihr hoch. Auch Eva war sichtlich über diese Geschichte geschockt. „Das darf doch alles nicht wahr sein…“, sagte sie nur. Nun war sie noch fester davon überzeugt, dass Edgar Brock nicht länger Schließer in Reutlitz bleiben konnte.
 

Teil 11

 

 

 

 

Das ist wirklich. Bitte, nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen. Herr Brock ist jemand, den muss man nicht verstehen. Ich werde mich darum kümmern, dass so etwas nie wieder vorkommen wird“, kam von Eva. „Was haben Sie denn vor?“, wollte Birgit wissen, nachdem sie sich ihre Tränen weggewischt hat. „Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde einen Weg finden.“ Früher hätte man gedacht, dass Eva Baal wieder eine Intrige spinnt. Doch ihr Gesichtsausdruck sagte etwas anderes. „Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Wir werden auch eine Weile ohne Sie auskommen“, fügte die Anstaltsleitung noch hinzu. „Danke, Frau Baal. Ich hoffe nur, dass Sie meinetwegen nicht so viel Stress haben“, war Birgit die momentane Situation etwas unangenehm. „Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen. Die Hauptsache ist erst mal, dass Sie sich wieder richtig erholen“, wandte Eva ein. Birgit lächelte leicht. „Vielen Dank.“

 

Kurz danach verließ Birgit Schnoor das Büro. Eva saß noch eine Weile nachdenklich in ihrem Stuhl. Was Birgit Schnoor ihr da erzählte, wollte einfach nicht in ihren Kopf. Brock war wirklich eins der größten Schweine, die sie kannte. Außer… Baumann! Der war nicht gerade viel besser. Immerhin hatte dieser Walter vergewaltigt. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Brock keinen umgebracht hatte. „Wenn er dazu nicht auch noch fähig ist“, sagte Eva zu sich selbst. Danach erhob sie sich von ihrem Stuhl. Sie ging zur Tür und öffnete sie. „Frau Adler, könnte ich Sie mal einen Moment sprechen?“, sah sie ihre Kollegin direkt an. „Natürlich“, kam von Adler und folgte ihrer Chefin.

 

Ich komm am besten gleich zum Punkt. Hatte Ihnen Frau Schnoor genau erzählt, was Brock zu ihr sagte?“, sah sie Jutta Adler abwartend an. Die beiden Frauen waren wieder im Büro der Anstaltsleitung. „Hat Sie, ja. Ich wollte ihr aber nicht vorgreifen. Sie sollte es Ihnen selbst sagen“, kam die Antwort. „Schon in Ordnung. Haben Sie eine Idee, was wir gegen Brock machen können? Das kann nicht so weitergehen.“ Jutta überlegte einen Moment. „Wir sollten ihn mit der Aussage von Frau Schnoor konfrontieren.“ Eva lächelte unscheinbar. „Die Idee ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Aber ich denke nicht, dass er sich irgendwas anmerken lässt. Nicht Brock. Wir müssen uns wohl etwas anderes überlegen“, in Eva reifte bereits ein Plan heran. „Haben Sie schon eine Idee?“ Jutta saß gespannt auf ihrem Stuhl. Sie erinnerte sich an das Gespräch vor ein paar Monaten. Eva konnte es sich nicht verzeihen, dass sie derartig auf Edgar Brock reingefallen war. Noch einmal würde ihr das wohl nicht passieren. „Wir müssten jemanden finden, der Brock ausfragt. Jemanden, mit dem er auch schon mehrmals gesprochen hat“, dachte Eva laut nach. „Peter Kittler. Die zwei hatten allerdings auch schon Streit“, erinnerte sich Jutta an die Erzählungen von Möhrchen. „Was denn für ein Streit?“, sah Eva interessiert aus. „Peter Kittler und seine Frau hatten wohl Geldprobleme und seine Frau wollte die Familienkasse aufbessern. Zu ihrem Essen gab es wohl noch… eine Gratisbestellung“, drückte sie sich gewählt aus. „Ich verstehe. Und Brock hatte seine Finger mit im Spiel.“ Jutta Adler nickte. „Genau. Peter hatte eine ganze Weile nicht mehr mit ihm gesprochen.“ Eva nickte. „Verständlich. Brock ist… lassen wir das.“ „Dazu kam noch, dass er von Miriam Overberg eine Abmahnung bekam.“ Eva schüttelte nur den Kopf und betätigte den Knopf der Sprechanlage. „Frau Mohr, sagen Sie bitte Herrn Kittler Bescheid, dass ich ihn umgehend sprechen möchte“, gab sie ihrer Sekretärin die Anweisung. „Wir werden Herrn Kittler auf Brock ansetzen“, gab Eva zur Antwort, als sie in das fragende Gesicht von Jutta Adler blickte.

 

Ich bin so schnell gekommen, wie es nur ging, Frau Baal“, kam Minuten später Peter Kittler ins Büro gerannt. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn sichtbar gemacht. Immer wenn er in das Büro der Anstaltsleitung kommen sollte, befürchtete er immer das Schlimmste. „Setzen Sie sich erst mal, Herr Kittler“, bat Eva ihn, Platz zu nehmen. „Es geht um Herrn Brock. Wir brauchen Ihre Hilfe“, begann Eva. Peter Kittler sah sie mit großen Augen an. „Ich weiß, dass Sie nicht das beste Verhältnis zu ihm haben. Aber Sie könnten ihn aus der Reserve locken“, kam wieder von Eva. „Und wie?“, fragte der Beamte stockend. „Beobachten Sie ihn genau und unterhalten Sie sich mit ihm. Sobald Ihnen etwas Sonderbares auffällt, melden Sie uns das umgehend. Helfen Sie uns?“, sah Eva ihm direkt in die Augen. Kittler überlegte.

 

Teil 12

 

 

 

 

 

 

Äh, also“, stotterte der Beamte und schluckte schwer. „Was nun? Ja oder Nein?“, sah Eva ihn streng an. „Ja, ich helfe Ihnen. Aber… über was soll ich mich denn mit ihm genau unterhalten?“, sah er zwischen Baal und Adler hin und her. „Kennen Sie die Geschichte mit Herrn Brock und Frau Schnoor?“, wollte Eva von ihm wissen. „Ja, kenn ich. War ne schlimme Sache“, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Reden Sie mit ihm über Frau Schnoor. Vielleicht erzählt er Ihnen was“, kam von Eva. Sie wollte Brock unbedingt dran kriegen. „Und wenn er merkt, dass ich ihn nur aushorchen will?“, fragte Kittler verunsichert. Ihm war diese Idee gar nicht so recht. Brock arbeitete mit allen Mitteln. Das wusste er. „Dann werden Sie sich eben nichts anmerken lassen! So schwer wird das ja wohl nicht sein“, kam forsch von Eva. Wenn sie eins an Kittler nicht mochte, dann war das seine Nervosität und sein ständiges Hinterfragen. „Ja, ist gut. Sie können sich auf mich verlassen. Kann ich nun gehen?“ Eva nickte und schloss dabei die Augen. Peter Kittler hatte sich erhoben und stolperte fast zur Tür. An der Tür drehte er sich noch einmal um und nickte den beiden Frauen zu. Danach verließ er den Raum.

 

Ich bin mal gespannt, ob er das schafft“, sagte Jutta, als sie wieder allein waren. „Darauf bin ich auch mal gespannt. Wenn nicht, müssen wir uns eben noch etwas anderes überlegen. Jetzt warten wir aber erst mal ab“, sagte Eva. Sie hatte ihre Hände gefaltet, wie sie es immer in so einer Situation tat. „Was machen wir jetzt mit Birgits Stelle? Die kann ja schlecht so lange unbesetzt bleiben. Wir haben ja eh schon Personalmangel“, schnitt Jutta das brisante Thema an. „Darüber hatte ich mir auch schon Gedanken gemacht. Nach Feierabend wollte ich eh noch mal ins Ministerium. Da werde ich das gleich mal mit Frau Dr. Kaltenbach besprechen“, kam von Eva. In gewisserweise war sie froh, dass sie wieder in Reutlitz arbeiten konnte. So hatte sie Brock zumindest weitestgehend unter Kontrolle. Auch wenn ihr die Situation etwas unangenehm war. Immerhin hatte sie Brock nun ständig vor sich. Wenn er aber in nächster Zeit hier raus fliegen sollte, so konnte sie dann ebenfalls mit der Geschichte abschließen. Hoffte sie zumindest.

 

Auf Station war mittlerweile Ruhe eingekehrt. Viele Frauen waren im Gruppenraum. Ein paar spielten mit dem Kicker. Walter und Uschi standen an der Stationstreppe und sahen zum Aquarium, in dem immer noch Brock saß und Zeitung las. „Sieh dir nur seinen Gesichtsausdruck an. Es grämt ihn mehr als deutlich, dass die Baal wieder hier ist“, sagte Walter grinsend zu Uschi. „Tja, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Hoffentlich muss man den nicht mehr lange ertragen“, sah nun auch Uschi intensiver zu ihm. „Das werden wir dann sehen. So wie ich die Baal einschätze, überlegt die sich schon was ihn loszuwerden.“ Die beiden Frauen sahen zur Gitterschleuse und erkannten Kittler. Er wirkte hektisch und fummelte gerade den Schlüssel ins Schloss. Er sah zu seinem Kollegen. „Du mieses Schwein“, zischte er leise. In ihm kam alles wieder hoch. Seine Ming Lhai mit Brock. Die Szene hatte er bis heute nicht vergessen. Irgendwie tat es ihm Leid, dass er seine Frau wieder wegschickte. Sie wollte nur mehr Geld ins Haus schaffen. Aber auf diese Art und Weise und dann auch noch mit so einem wie Brock. Das konnte er ihr nicht verzeihen. Wieder kam ihm seine Kollegin Schnoor in den Sinn. Sie tat ihm ebenfalls Leid. Kittler strafte seine Schultern und schloss entschlossen die Schleuse auf. Er wollte nun auch Brock so schnell wie möglich loswerden.
 

Teil 13

 

Walter und Uschi beobachteten, wie Peter Kittler zu Brock ins Aquarium ging und sich grinsend neben seinen Kollegen setzte. „Was hat der denn vor?“, stieß Walter den Rauch aus und sah zu den beiden Beamten. „Das werden wir gleich wissen“, kam von Uschi, die ein Stück näher ans Aquarium ging und Walter an sich heran winkte.

 

Na, alles klar?“, klopfte Kittler Brock fast freundschaftlich und grinste dabei. Brock drehte sich zu seinem Kollegen um und sah ihn fragend an. „Bis eben war alles klar. Was willst du?“, fragte er. Brock mochte es nicht, von irgendwen betatscht zu werden und bei dem Kollegen Kittler war er sowieso misstrauisch. „Meinst du, dass die Schnoor ersetzt wird?“, schnitt er das Thema an, wonach er den Kollegen aushorchen sollte. „Wie kommst du denn plötzlich darauf?“, legte der glatzköpfige Beamte die Zeitung weg. „Na ja. Sie ist doch nun schon eine ganze Weile weg. Und wir wissen alle, dass wir eine chronische Personalmangel haben. Und wer weiß, ob die Schnoor überhaupt wiederkommt. Du hast sicher auch nicht ständig Lust, ihre Schichten zu übernehmen, oder?“, sah Kittler ihn mit großen Augen an. „Die Weiber werden sich da sicher schon was ausgedacht haben“, machte Brock dazu noch eine abfällige Handbewegung, „ich bin erst mal froh, dass sie weg ist“, fügte er noch hinzu. „Da wollte ich dich eh noch was fragen“, hob Kittler wie ein Schuljunge, seinen Zeigefinger. „Was willst du denn nur immer wissen? Warst du scharf auf die?“, kam von Brock. Er war sichtlich von der Fragerei seines Kollegens genervt. „Spinnst du? Was soll ich denn mit der? An der hat sich doch schon Grauel vergangen!“, konnte er nicht fassen, dass Brock ihm so eine Frage stellte. Allerdings tat es Kittler auch Leid, dass er so über seine Kollegin sprach. Immerhin hatte er genau mitbekommen, was sie so fertig machte. „Gut. Weswegen fragst du dann?“, ließ Brock nicht locker. „Na, ich will nur wissen, wieso du die Schnoor so fertig gemacht hast“, war Kittler etwas eingeschüchtert. In ihm kroch die Angst hoch, dass Brock doch noch was merkte. „Weil ich die hasse. Mit ihrem lieben Getue. Und sie wollte doch immer ein Kind. Ich hätte ihr eins gemacht!“ Brock grinste bei diesem Satz. Es machte ihm sichtlich Spaß, so über seine Kollegin zu reden. „Auch gegen ihren Willen?“ Peter wurde es immer unheimlicher. Vielleicht war Brock ein Vergewaltiger. Immerhin hat er auch bei dem Bordell von Natascha Sanin mitgemacht. Sicher, er selbst war ebenfalls beteiligt. Aber er wäre wohl nie so weit gegangen, wie Brock. Seinem Kollegen traute er das durchaus zu. „Du musst dir eins merken: Wenn Frauen Nein sagen, meinen sie das Gegenteil. Und auch wenn die Schnoor kein Vergleich zu Natascha Sanin ist, ist sie eine Frau. Das mit der Geiselnahme war nur ein Unfall. Wenn die nicht gewesen wäre, hätte die das Balg auch gekriegt. Ich wollte ihr eines schenken.“ Das Wort schenken sprach er schnell und finster aus. Peter musste schlucken. „Wusstest du, dass sie so reagiert?“, fragte Kittler leise. „Ja, wusste ich. Und es war mein Ziel. Ich hoffe, dass die nicht so schnell wiederkommt.“ Kittler sah ihn an. Anscheinend war Brock jede Frau recht, wenn er seinen Trieb befriedigen wollte. „Aha. Du hast auf die Sanin gestanden?“ wieder grinste Brock. „Was heißt gestanden. Sie wäre nun mal ein netter Zeitvertreib gewesen. Aber sie wollte ja nicht. Sehr zurückhaltend, die Gute. Aber wahrscheinlich hatte sie noch genügend von ihrem letzten Zuhälter“, erzählte Brock. „Wieso denn? War da was Besonderes?“, wusste Kittler nicht genau, was Brock meinte. „Ich habe das eine Mal, kurz bevor Nora Strauß starb, Narben auf ihrem Rücken gesehen. Gut für sie, dass sie uns damals nicht verraten hat, was? Sonst säßen wir nun gegenüber im Männerknast“, sagte der Beamte und stand auf. „Äh ja. Genau, gut, dass sie es nicht getan hat“, nickte Peter schnell. „Ich geh mal schnell für kleine Eddys. Du hältst doch solange die Stelle hier?“, hatte er schon die Tür geöffnet. Nach kurzer Zustimmung von Kittler, verschwand er.

 

Peter musste tief durchatmen. Erst jetzt hatte er wirklich bemerkt, wie machtbesessen Brock tatsächlich war. Dieser Mann würde über Leichen gehen, wenn er müsste. Aber in einem Punkt hatte er recht: Wenn Natascha oder Ginger und Annika gegen die beiden ausgesagt hätten, säßen sie jetzt wohl auch im Knast. Allerdings wenn Kittler nun zu Frau Baal und Frau Adler gehen und seinen Kollegen den Frauen ausliefern würde, würde Brock nicht alles abstreiten und dann womöglich die Sache mit dem Bordell zur Sprache bringen? „Ich darf ihn nicht zuvorkommen lassen!“, war Kittler entschlossen. Er musste selbst ein Geständnis ablegen, auch wenn es ihm den Job und vielleicht auch noch die Freiheit kosten könnte.

 

Meinst du, die Baal hat Kittler auf ihn angesetzt?“, wandte sich Uschi an Walter, als sie wieder bei der Treppe waren. „Garantiert. Nur hat der Arme keine Zeugen“, sah Walter erneut zu Kittler. „Das kann man ändern“, kam von Uschi. „Du willst doch nicht für den aussagen, oder? Das ist ne Schluse! Vergiss das nicht.“ Walter konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Das hab ich nicht vergessen. Aber du hast doch gehört, was Brock eben sagte. Den müssen wir loswerden!“ Walter dachte nach. Sollte sie tatsächlich Kittler helfen?

 

Teil 14
 

Also, was ist?“, drängelte Uschi weiter. „Ich weiß nicht. Kittler ist ne Schluse und mit denen arbeiten wir nicht zusammen. Das ist die erste Regel“, behaarte Walter auf ihrem Standpunkt. „Schon. Aber du hast auch schon mal deine eigene Regel gebrochen“, erinnerte Uschi sie daran. In Walters Augen stieg die Wut auf. „Das mit Bea war vollkommen was anderes. Und das weißt du! Der Geier hatte es drauf angelegt“, rief Walter aufgebracht und wollte gehen. „Hey, jetzt warte doch mal“, hielt Uschi ihre Schulter fest. „Was denn noch?“, funkelte Walter böse. „Ich hab damit nicht Bea gemeint. Denk mal weiter. Als der Geier Reulitz verlassen hat“, lächelte sie versöhnlich. „Du meinst die Zusammenarbeit mit ihr gegen Baumann?“, fragte sie noch einmal nach. „Genau“, gab die grauhaarige Insassin zurück. „Das hat damals doch nicht wirklich geklappt.“ Walter war wieder versöhnlicher. „Schon. Aber jetzt haben wir auch die Aussage von Kittler. So bekommen wir Brock dran“, machte Uschi ihrer Mitinsassin Mut. „Von der Seite hab ich das noch gar nicht gesehen. Aber was machen wir, wenn Brock uns zuvor kommt? Dann sind wir am Arsch“, wurde Walter missmutig. „Das wird er aber nicht. Wenn er gleich zurückkommt, fragen wir Kittler, ob er uns zur Baal bringt“, schlug Uschi vor. „Und dann sagen wir zusammen mit Kittler gegen Brock aus.“ Auf Walters Gesicht erkannte man ein Lächeln. Ihr gefiel der Plan immer besser und das Beste daran war, dass er sogar funktionieren würde. „Also? Überredet?“ Auch bei Uschi zeichnete sich ein Lächeln ab. Sie kannte Walter und wusste, dass sie nun überzeugt war. „Ja, du hast mich überzeugt. Wir helfen Kittler“, gab sie sich geschlagen. „Psst! Da kommt Brock“, zeigte Uschi in Richtung Gitterschleuse. „Dann können wir ja gleich zur Baal gehen“, wurde ihr ins Ohr geflüstert. „Warte noch. Lass Kittler erst in Richtung Gitterschleuse gehen“, wurde Walter zurückgehalten. „Okay. Dann aber wirklich“, wirkte sie etwas genervt. Auch Uschi verdrehte die Augen. Wieso konnte Walter nicht einfach mal die Zeit abwarten? Sie schüttelte den Kopf. „Achtung! Er kommt“, stellte sich Walter in Positur. Wieder schüttelte Uschi den Kopf. Sie wollten doch eigentlich warten, bis er an der Gitterschleuse war. Aber das war nun auch egal. Wer weiß, wie Walter reagiert hätte, wenn Uschi sie daran erinnert hätte. Sie stieß sich vom Treppengeländer ab und folgte Walter. „Herr Kittler?“, fragte Walter zuckersüß. „Ja, was gibt’s denn, Frau Walter?“, hatte der Beamte eigentlich keine Lust auf Small-Talk, blieb aber stehen. Walter lächelte aber nur. „Na, ist nun was oder nicht? Ich muss zur Chefin!“, sagte er schnell und schaute Walter angestrengt an. „Ach, Sie auch? Dann können Sie uns gleich mitnehmen“, kam der Boss der B nun auf den Punkt. „Meinetwegen. Aber beeilen Sie sich. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit“, ging er schon mal voraus. Walter zwinkerte Uschi unauffällig zu. Dann machten sie sich auf den Weg.

 

Hallo, Möhrchen“, begrüßte er die Sekretärin, als er das Vorzimmer der Anstaltsleitung betreten hatte. Dicht hinter Kittler standen Walter und Uschi, die Möhrchen mit einem Kopfnicken begrüßten. „Ist Frau Baal in ihrem Büro?“ Peter Kitler nahm seine Dienstmütze ab und wischte sich den Schweiß ab. „Ja, ist sie. Wollen Frau Walter und Frau König mit rein?“, sah Möhrchen die beiden Insassinnen an. „Nein, sie warten hier“, kam sofort von Kittler. Walter und Uschi sahen sich etwas belustigt an. Dann sahen sie wieder zu dem Beamten. „Irrtum. Wir kommen mit rein. Sie werden es uns sicherlich noch danken“, grinste Walter ihn frech an. „Ich wüsste nicht, warum“, war Kittler tatsächlich ahnungslos. „Das werden Sie dann sehen“, ging Walter ein Stück weiter. Kittler zuckte mit den Schultern und folgte den beiden Frauen. Immerhin wollte er der Erste an der Tür sein.

 

Nachdem Peter Kittler angeklopft hatte und ein „Herein“ hörte, öffnete er die Tür. „Schön, dass man Sie so schnell wiedersieht, Herr Kittler“, kam von Eva. Dann erblickte sie Walter und Uschi. „Und wie kann ich Ihnen helfen?“, sah sie die beiden an. „Gar nicht. Aber wir wollen Ihnen helfen. Wir möchten die Aussage, die Herr Kittler gleich machen wird, bestätigen“, kam von Uschi. Peter sah die beiden Frauen an. Sie wollten ihm helfen?

 

Teil 15

 

 

Na, auf die Aussage bin ich mal gespannt“, lehnte sich Eva in ihrem Stuhl zurück und lauschte den Worten von Peter Kittler. „Also, ich habe Brock ausgefragt, wegen Frau Schnoor“, stockte er immer wieder. „Und, haben Sie etwas raus gefunden?“, sah Eva ihn direkt an. „Nun ja“, schwitzte er. „Herr Kittler hat etwas rausbekommen. Herr Brock hatte es darauf angelegt, Frau Schnoor fertig zu machen“, schaltete sich nun Uschi ein. „Ah ja. Und wissen Sie auch, was?“, zog Eva die Augenbrauen hoch. Sie konnte den Worten von Uschi noch keinen Glauben schenken. „Sie wissen, dass Frau Schnoor damals ihr Kind verloren hatte?“, wollte die Insassin zunächst die Antwort abwarten. „Ja, das weiß ich. Aber worauf wollen Sie hinaus?“, kam Baal nicht ganz mit. „Frau Walter und ich haben gehört, wie Herr Brock zu Herrn Kittler meinte, dass er seiner Kollegin ein Kind schenken wollte“, sah Uschi zornig aus. „Was? Das ist ja unfassbar! Herr Kittler, stimmt das?“, wandte sie sich nun an ihren Angestellten, obwohl sie die Geschichte schon kannte. „Ja, er hätte es auch gegen ihren Willen getan. Herr Brock meinte, dass Frauen immer Ja meinen, auch wenn sie Nein sagen“, bestätigte er die Aussage. „Ich verstehe.“ Eva wurde wieder an ihre Affäre mit ihm erinnert. Auch sie musste manche Dinge gegen ihren Willen machen. „Was werden Sie jetzt unternehmen?“, wollte nun Walter wissen. „Ich werde ihn zu den Dingen befragen“, kam zur Antwort. „Aber sie wissen schon, dass er alles abstreiten wird, oder?“, erinnerte sie Walter daran. „Das weiß ich. Dennoch müssen wir es erst mal so probieren. Gibt es sonst noch was?“, wollte Eva wissen. „Ja… da ist noch eine Sache. Aber die möchte ich gern mit Ihnen unter vier Augen besprechen, wenn das möglich ist“, kam leise von Kittler. „Sicher. Frau Walter, Frau König. Bitte warten Sie draußen und danke für Ihre Aussagen“, bedankte sich die Anstaltsleiterin und bat die Frauen raus. An der Tür wandte sich Walter noch mal um. „Ich hoffe, dass wir diesen Schließer nicht mehr lange ertragen müssen.“ Eva nickte. Nachdem die Tür wieder geschlossen war, bat Eva, dass Peter sich setzen sollte.

 

Also, was gibt es denn noch?“ Peter knetete seine Mütze in seinen Händen. Er wusste, dass er seinen Job riskieren wird, wenn er jetzt eine Aussage macht. „Na ja. Damals, als Frau Sanin vor Gericht stand. Da hat sie jemanden gedeckt“, traute er sich nicht, zuzugeben, um wen es geht. „Und wen?“, wollte Eva aber wissen. „Mich. Ich habe damals bei dem Bordell mitgemacht“, gab er nun offen zu. „Und wieso haben Sie das nicht schon früher erzählt? Immerhin ist das eine Straftat.“ Eva war sichtlich geschockt. Sie wusste zwar, dass Kittler gern Heftchen liest und ihr war damals auch nicht entgangen, dass er etwas mit Mona Suttner hatte, aber dass er das macht. Das hatte selbst sie nicht erwartet. „Ich hatte Angst, dass ich meinen Job verliere. Ich habe doch sonst nichts.“ Man sah die Angst in seinen Augen. „War sonst noch ein Beamter beteiligt? Brock vielleicht?“, fragte sie direkt. „Ja, Brock. Ich wollte ihm zuvor kommen. Ich weiß, dass ich dafür ins Gefängnis kommen könnte. Aber ich wollte nicht, dass Brock ungestraft davon kommt. Kann ich nun gehen?“, fühlte sich der Beamte sichtlich unwohl. „Ja, Sie können gehen. Aber die Sache wird noch ein Nachspiel haben“, warnte sie ihn schon vor.

 

Nachdem auch Kittler das Büro verlassen hatte, bat Eva Möhrchen durch den Sprechfunk erst mal nicht gestört zu werden. Sie stand auf und ging zum Fenster, zog die Vorhänge zu und nahm wieder Platz. Sie stützte ihren Kopf in ihre Hände. Wie konnte sie nur so blind sein? Sie hätte ahnen müssen, zu was Brock alles fähig war. Aber die wichtigste Frage war wohl: Hätte er sie auch vergewaltigt, wenn sie mit ihm keinen Sex haben wollte? Das wollte sie sich gar nicht erst vorstellen. Aber der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Brock hatte sie fasziniert. Warum wusste sie schon früher nicht. Doch jetzt wusste sie es erst recht nicht mehr. Aber eins wusste Eva ganz genau: Sie musste Edgar Brock so schnell wie möglich loswerden.

 

Teil 16

 

Sie dürfen da nicht rein. Das hat Frau Baal angeordnet.“ Es war die Stimme von Möhrchen, die Eva durch die geschlossene Tür wahrnahm. Sie blickte auf. Mit wem Möhrchen wohl sprach? Eva lauschte weiter, hörte aber keine andere Stimme. Plötzlich hörte sie ein Poltern. Nun erhob sie sich von ihrem Stuhl und wollte nachsehen, was im Vorzimmer vor sich ging. Noch bevor Eva an der Tür war, ging diese auch schon auf. Sie blickte in das Gesicht von Edgar Brock. Er lächelte finster in sich hinein, als er das abgedunkelte Zimmer kam. „Wollten Sie ein Nickerchen machen, Frau Baal?“ Eva war so perplex über seine Dreistigkeit, dass sie kein Wort heraus bekam. „Es tut mir leid, er wollte einfach nicht auf mich hören“, kam auch schon Möhrchen in den Raum. Den Blick hatte sie gesenkt, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas unangenehm war. „Schon gut, Frau Mohr. Ich denke Herr Brock wollte eh gerade wieder gehen, oder nicht?“ Eva sah ihr Gegenüber herausfordernd an. Wieder lächelte er. „Wir sprechen uns noch!“ Danach verließ er ohne ein weiteres Wort, den Raum.

 

Tut mir wirklich leid. Gegen ihn hab ich keine Chance“, entschuldigte sich die rothaarige Sekretärin nochmals. „Es war besser so. Würden Sie mich jetzt bitte wieder allein lassen?“ Eva hatte ihr bereits den Rücken zugedreht. „Ist alles in Ordnung, Frau Baal?“ „Ja, wieso fragen Sie?“, hatte sie sich noch mal umgedreht. „Na ja. Sie sehen so abgespannt aus. Als ob Sie etwas belastet“, kam von der besorgten Sekretärin. „Ich überlege nur.“ Wieder wandte sie Sybille Mohr den Rücken zu. Eva hörte nur noch, wie die Tür leise ins Schloss fiel. Sie musste selbst zugeben, dass Möhrchen nicht ganz Unrecht hatte. Die Geschichte mit Brock belastete sie und jetzt auch noch das Geständnis von Peter Kittler setzte ihr ebenfalls noch zu. Es half nichts. Sie musste die Kaltenbach darüber informieren. Sie nahm den Hörer in die Hand und wählte die Nummer vom Justizministerium. Nach dem dritten Klingeln nahm sie die vertraute Stimme von Evelyn Kaltenbach wahr. „Frau Baal, ich hätte nicht so bald mit Ihrem Anruf gerechnet. Gibt es Probleme?“ „Direkt nicht. Ich würde trotzdem gern mal vorbei kommen. Die Sache lässt sich so schlecht am Telefon erklären.“ Im Inneren hoffte Eva, dass die Staatssekretärin sofort einen Termin frei hatte. Dann konnten sie gemeinsam beraten, wie sie weiter vorgehen könnten. „Passt es Ihnen denn in einer halben Stunde?“ „Ja, das passt. Dann sehen wir uns gleich. Auf Wiederhören.“ „Auf Wiederhören“, legte auch Evelyn auf.

 

Frau Mohr, ich bin jetzt mal außer Haus“, trat Eva aus ihrem Zimmer und nahm sich ihren Mantel. „Für wie lange ungefähr?“, wollte Möhrchen noch wissen. „Ungefähr zwei Stunden. Wenn wichtige Anrufe sind schreiben Sie mir bitte die Nummern auf, ich rufe dann zurück.“ „Mach ich.“

 

Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit hatten“, stand Eva wenig später im Büro von Evelyn Kaltenbach, die sie schon erwartet hatte. „Es hörte sich dringend an. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken?“, setzte sich auch Evelyn wieder auf ihren Stuhl. „Danke, erst mal nicht. Ich bin wegen Herrn Brock und Herrn Kittler da“, kam sie zum eigentlichen Thema. „Haben Sie denn schon etwas in Erfahrungen bringen können?“, interessierte das Evelyn. „Herr Brock hatte Frau Schnoor wirklich bedrängt. Laut den Aussagen von Herrn Kittler, Frau Walter und Frau König, wollte er ihr ein Kind schenken – auch gegen ihren Willen“, erzählte Eva. „Um Gottes Willen. Das darf doch nicht wahr sein. Dieser Mann ist wirklich gefährlich.“ Evelyn Kaltenbach konnte darüber nur den Kopf schütteln. „Das ist leider noch nicht alles.“ Wieder schaute die Staatssekretärin Eva erwartungsvoll an. „Herr Kittler hat gestanden, dass Frau Sanin ihn und Brock damals gedeckt hatte. Die beiden waren mit in die Bordell-Geschichte involviert.“ Nun konnte Kaltenbach kein Wort mehr sagen. „Das darf doch alles nicht wahr sein. Die beiden sind für Reutlitz einfach nicht mehr tragbar. Wir müssen wohl die Staatsanwaltschaft darüber in Kenntnis setzen“, kam entschlossen von ihr.


 

Teil 17
 

Der Ansicht bin ich auch. Allerdings sollten wir mit Brock sprechen“, schlug Eva vor. „Trauen Sie sich das selbst zu? Nicht, dass ich Ihnen das nicht zutraue. Wegen der Vorgeschichte. Vielleicht möchten Sie ja Verstärkung haben?“ Eva überlegte einen Moment. Vielleicht war es doch so keine schlechte Idee. Sie konnte sich zwar vorstellen, zu was Brock alles fähig war. Aber es war eben nur ein Bruchteil. So wie sie ihn in den letzten Monaten erlebt hatte, konnte sie sich nicht wirklich sicher sein, wie er auf die Nachricht mit der Staatsanwaltschaft reagieren würde. „Verstärkung ist keine schlechte Idee. An wen hatten Sie da gedacht?“, wollte die Anstaltsleiterin von Reutlitz wissen. „An mich und den Staatsanwalt“, kam von Kaltenbach zur Antwort. „Damit bin ich einverstanden. Wir müssen uns nur etwas überlegen, wie wir es anstellen, dass er nichts merkt“, kam Eva ins Grübeln. „Sie werden mit ihm allein im Büro sprechen und wir warten im Vorzimmer. Natürlich erst, wenn er bereits bei Ihnen ist.“ „Der Plan könnte funktionieren. Und ich stelle die Sprechanlage so um, dass Sie von draußen mithören können“, kam von Eva. „Gut. Dann werde ich jetzt mal die Staatsanwaltschaft informieren“, griff Evelyn Kaltenbach zum Hörer und ließ sich verbinden. Eva wartete ab, bis die Staatssekretärin den Hörer wieder aufgelegt hatte. „Staatsanwalt Köppel kommt morgen vorbei. Was werden Sie jetzt tun?“, wollte Evelyn wissen. „Erst mal nichts. Sonst kommt er uns doch noch zuvor.“ Wie konnte sie nur auf so einen herein fallen? Eva hoffte tief in ihrem Inneren, dass sie diesen Typen bald los sein würde. „Wenn alles klappt morgen, werden Sie ihn nächste Woche los haben“, kam von Kaltenbach. Eva zuckte unmerklich zusammen. Hatte Evelyn Kaltenbach ihre Gedanken erraten? Oder hatte sie diesen Wunsch insgeheim selbst? „Hoffentlich klappt auch alles.“ „Da bin ich ziemlich zuversichtlich. Sollte es noch Probleme geben. Sie können mich jederzeit anrufen“, bot Kaltenbach an und erhob sich zugleich. „Vielen Dank. Ich hoffe nicht, dass es bis morgen Probleme gibt“, erhob sich auch Eva und reichte ihrer Vorgesetzten die Hand. „Bis morgen.“

 

Auch Peter Kittler machte sich in Reutlitz über den weiteren Verlauf Gedanken. Immer wieder zuckte er zusammen, wenn er von Insassinnen angesprochen worden ist. Das merkten auch Uschi und Walter. „Mensch, Herr Kittler, reißen Sie sich zusammen. Oder wollen Sie, dass Brock etwas merkt?“, raunte ihm Walter durch das Gitter des Aquariums zu. „Nein, natürlich nicht. Trotzdem unwohl“, flüsterte Kittler. „Ja, das merkt man“, verdrehte Walter die Augen. „Wenn Brock was merkt. Der ist doch nicht dumm. Der zählt Eins und Eins zusammen und dann wird er unseren Plan vereiteln. Wollen Sie das etwa?“ Kittler schüttelte mit dem Kopf. „Dann verhalten Sie sich so unauffällig wie möglich. Frau Baal wird sich schon um die Sache gekümmert haben“, kam diesmal von Uschi. Ein Nicken war die Antwort.

 

Eva war bereits wieder in Reutlitz eingetroffen. Sie hatte zu Kaltenbach gesagt, dass sie niemanden wegen dem morgigen Tag in Kenntnis setzen würde. Allerdings war da noch Jutta Adler. Die müsste sie wohl in Kenntnis setzen. Heute war sie ja außer Haus, nachdem Birgit Schnoor hier gewesen war. Das war sie Jutta Adler schuldig. Eva nahm sich vor, nach Feierabend bei ihr vorbei zu gehen. Am Telefon ließ sich das immer so schlecht erklären. Aber erst mal musste Eva den restlichen Tag einigermaßen gut überstehen. An der Eingangstür zur Verwaltung atmete sie noch einmal kräftig ein und trat schließlich ein.
 

Teil 18

 

 

 

Da sind Sie ja wieder“, kam sofort von Möhrchen, als sie Eva erblickte. „Gab es irgendwelche Probleme?“, wollte sie wissen. „Nein, es gab keine Probleme. Frau Adler hat angerufen. Ich habe ihr ausgerichtet, dass Sie zurückrufen. Ich hoffe, das war in Ordnung?“, kam von der Sekretärin. „Es ist in Ordnung. Haben Sie die Nummer?“, erkundigte sie sich. „Die habe ich bereits auf Ihren Schreibtisch gelegt.“ Eva nickte und ging zu ihrer Bürotür. „Ich möchte jetzt nicht gestört werden“, schob sie noch nach. Dann öffnete sie die Tür und ging hinein, schloss sie wieder.

 

Eva ließ sich in ihren Stuhl fallen und atmete noch einmal auf. Sie war froh, wenn das alles vorbei war. Doch erst mal musste morgen alles klappen. Und davon war Eva noch nicht recht überzeugt. Der Griff zum Telefon fiel ihr nicht sonderlich schwer. Eva hoffte nur, dass Jutta Adler auch zu Hause war. Sie sah auf den Zettel und wählte anschließend die aufgeschriebene Nummer. Nach dem vierten Klingeln, nahm endlich jemand ab. „Schön, dass Sie anrufen. Konnte Herr Kittler denn etwas Genaues raus finden?“ Eva war im ersten Moment fast überrumpelt, doch sie fing sich schnell wieder. „Es stimmt tatsächlich. Herr Brock hatte Frau Schnoor tatsächlich fertig gemacht. Genaueres würde ich Ihnen gerne heute Abend erzählen, wenn Sie Zeit haben?“ Eva wartete ab. „Ja, ich habe Zeit. Sagen wir gegen 8 Uhr?“ „Ja, das passt. Ist Frau Schnoor denn gut nach Hause gekommen?“, wollte Eva zum Abschluss des Telefonates noch wissen. „Natürlich. Ich habe sie selbst nach Hause gebracht. Bis heute Abend.“ Dann klickte es in der Leitung und auch Eva legte auf.

 

Der Abend kam schneller, als erwartet. Eva war noch ein paar Akten durchgegangen, dann hatte sie Feierabend gemacht und machte sich nun auf den Weg zu Jutta.

Dass Jutta vielleicht seltsam reagieren würde, dass sie so eigenmächtig gehandelt hatte, darüber machte sich Eva keine Gedanken. Als sie vor einigen Monaten gegangen war, hatte sie schon das Gefühl, dass Jutta Brock ebenso los werden wollte. Jetzt bot sich nun mal die Gelegenheit. Mit Optimismus straffte Eva ihre Schulter und drückte auf die Klingel. Kurz darauf hörte sie den Summer und betrat das Wohnhaus.

 

Schön, dass Sie gekommen sind“, wurde Eva an der Wohnungstür bereits erwartet. „Guten Abend, Frau Adler“, lächelte Eva leicht. „Kommen Sie doch rein“, machte Jutta eine einladende Handbewegung. „Möchten Sie etwas Trinken? Einen Schluck Rotwein vielleicht?“, bat Jutta sie, auf der Couch Platz zu nehmen. „Ja, gern.“

 

Sie haben es am Telefon spannend gemacht“, begann Jutta das Gespräch. „Es ist immer schwer, etwas am Telefon zu erklären. Wie schon vorhin erwähnt, hat Brock Frau Schnoor tatsächlich fertig gemacht. Er wollte ihr ein Kind schenken. Auch gegen ihren Willen.“ Noch immer fiel es Eva schwer, zu verstehen, dass Brock das tatsächlich sagte. „Um Gottes Willen!“ Jutta nahm die Hand vor den Mund. Sie hatte ihrem Kollegen ja einiges zugetraut. Aber das war für sie noch immer unfassbar. „Es ist unglaublich. Aber Genaueres wurde von Herrn Kittler, Frau Walter und Frau König ausgesagt.“ Jutta sah ihre Kollegin fassungslos an. Sie war darüber erstaunt, dass Walter und auch die König, den Schlusen halfen. Das war nun mal die erste Regel. „Mich hat die Sache auch erstaunt. Leider war das aber noch nicht alles.“ Wieder wurde sie erstaunt angesehen. „Was denn noch?“ Eva nahm ein Schluck von ihrem Wein, bevor sie fort fuhr. „Herr Kittler hat noch ein Geständnis abgelegt. Als Frau Sanin damals wegen der Geschichte mit dem Bordell vor Gericht stand, hat sie Kittler und Brock gedeckt“, berichtete Eva weiter. „Das wird ja immer besser. Haben Sie schon eine Idee, wie wir weiter vorgehen?“, wollte die ehemalige Anstaltsleiterin wissen. „Ich war heute schon bei Frau Dr. Kaltenbach. Sie hat die Staatsanwaltschaft informiert und wird morgen mit Herrn Köppel in Reutlitz sein.“ Jutta atmete tief aus. „Brock ist gerissen, das wissen Sie. Haben Sie da auch schon eine Idee?“ „Ich werde Brock morgen in mein Büro bitten. Frau Dr. Kaltenbach und der Staatsanwalt werden draußen bei Frau Mohr sein und alles über die Sprechanlage mithören“, erklärte Eva ihren Plan. „Hoffen wir mal, dass er funktionieren wird“, war die grauhaarige Frau noch nicht ganz überzeugt. Aber sie wusste, dass sie wohl keine andere Möglichkeit hatten.

 

Teil 19

 

 

 

Guten Morgen, Frau Baal. Frau Dr. Kaltenbach hat angerufen“, wurde Eva am nächsten Tag von ihrer Sekretärin begrüßt. „Guten Morgen. Wollte sie denn etwas Bestimmtes?“, hängte sie ihren Mantel am Garderobenständer auf. „Sie wird gegen halb 9 kommen. Sie wüssten, worum es ging“, kam von Mohr. „Vielen Dank“, hatte Eva schon den Knauf von ihrer Bürotür in der Hand. Möhrchen nickte und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu.

 

Hoffentlich bin ich dich bald los.“ Eva hatte sich die Akte, die sie am Vortag schon auf ihren Schreibtisch deponiert hatte, zur Hand genommen und blätterte darin herum. Es war die Akte von Brock. Seine Referenzen waren ausgesprochen gut. Wenn man es so betrachtet, konnte man sich gar nicht vorstellen, dass Brock so ein Schwein war. Ein Schwein, auf das ich herein gefallen bin, schallte es in Evas Kopf. War da nicht was mit dem Jugendgefängnis? Und mit Daniela Kallweit? Eva musste einen Moment überlegen. Sicher. Daniela Kallweit saß selbst mal im Jugendgefängnis und hatte das auf der Station verkündet. Eva wurde darüber von Trude Schiller in Kenntnis gesetzt. Begeistert war sie nicht gewesen. Allerdings war das nun auch erst einmal zweitrangig. Sie musste die Sache mit Frau Schnoor und dem Bordell klären. Das war erst mal wichtiger. Sie schaute auf die Uhr. Es waren nur noch 15 Minuten, bis Frau Dr. Kaltenbach mit dem Staatsanwalt in Reutlitz eintreffen würde. Sie legte die Akte zur Seite und erhob sich. Eva wollte sich selbst bemühen, Brock in ihr Büro zu locken. Nun fehlte ihr nur noch die rettende Idee. Eva überlegte einen Moment. Brock durfte auf keinen Fall merken, dass es eine Falle war. Dann ging sie zur Tür, öffnete sie und schritt in das Vorzimmer. „Ich bin mal auf Station, Frau Mohr“, sagte sie zu dieser und war daraufhin auch gleich verschwunden.

 

Die Station war fast leer, nur eine Insassin konnte man erkennen, die die Schmutzwäsche einsammelte. Im Aquarium saß Brock mit einer Schließerin von der A. Seit Birgit Schnoor sich eine längere Auszeit nahm, springt sie immer mal wieder ein. Mit langsamen Schritten nährte sich Eva den Beiden. Brock las Zeitung, das konnte sie erkennen. Seine Kollegin beobachtete die Insassin, ob sie die Arbeit auch ordentlich verrichtete.

Guten Morgen. Herr Brock, würden Sie mich in mein Büro begleiten? Es geht um die derzeit unbesetzte Stelle der Stationsleitung“, kam Eva gleich zum Punkt. Brock sah seine Kollegin an. „Kommen Sie denn allein klar?“ Diese nickte. „Gehen Sie ruhig. Es ist ja nicht viel los hier.“

 

Was ist nun mit der Stelle?“, hatte Brock nicht wirklich Lust, darüber zu reden, als er bei Eva im Büro saß. „Wie gesagt, seit Frau Schnoor nicht da ist, ist die Stelle unbesetzt“, begann Eva. „Ja und?“, fragte Brock. „Ich würde gern Sie dafür einsetzen“, kam von Baal. „Und dafür holst du mich extra hierher?“ Er sagte bewusst Du. „Ja, deswegen hole ich Sie hierher“, bewahrte Eva die Fassung. „Ich glaube, da steckt noch etwas anderes dahinter“, sah er sie herausfordernd an. „Und was sollte das Ihrer Meinung nach sein?“, lehnte sich Eva in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Komm schon. Du hast unsere Affäre vom letzten Mal noch nicht vergessen“, grinste er. „Da haben Sie recht. Nur hat das mit der Arbeit rein gar nichts zu tun“, blieb Eva weiterhin unterkühlt und beim Sie. „Damals hast du das nicht so gesehen. Sag mir doch einfach, dass ich dir nicht gleichgültig bin“, provozierte er seine Vorgesetzte weiter. „Sie sind mir egal. Und Sie müssen nicht denken, dass jede Frau hinter Ihnen her ist. So toll sind Sie nun auch wieder nicht“, gab Eva ihm Kontra. „Streite es doch nicht ab. Ich kenn euch Frauen doch. Wenn ihr Nein sagt, meint ihr Ja. Wie deine Kollegin, die Schnoor“, erzählte er munter weiter. „Was ist denn mit ihr?“, wurde es langsam interessant für Eva. „Sie hat mich angemacht“, kam nun von Brock. „Frau Schnoor? Sie angemacht? Warum sollte sie das tun?“, sah Eva ihn halb geschockt an. „Sie wollte Sex mit mir.“ Eva schüttelte den Kopf. „Sie können nun reinkommen.“ Brock wandte sich um. Sein grinsendes Gesicht verschwand, als Kaltenbach mit einem Mann reinkam. „Herr Brock. Ich habe eine weitere Fragen an Sie. Wollten Sie Frau Schnoor gegen ihren Willen ein Kind machen? Und bitte antworten Sie wahrheitsgemäß“, kam von Köppel. „Was soll ich? Sie spinnen doch. Ich habe diese Frau nicht angefasst und ich wollte ihr auch kein Kind gegen ihren Willen machen.“ „Herr Brock! Bitte mäßigen Sie Ihren Tonfall. Frau Schnoor und Herr Kittler erzählen was anderes“, sah Eva ihn scharf an. Nun machte es auch bei ihm klick. „Kittler. Du steckst mit ihm unter einer Decke. Aber er ist auch nicht ohne. Als die Sanin das Bordell hatte.“ „Da waren er und Sie beteiligt. Ich bin darüber informiert. Deswegen ist auch der Staatsanwalt da. Diese Sache wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Brock sah Eva geschockt an. Er wusste, was das bedeuten würde.

 

 

Teil 20

 

 

Du hast mich gelinkt!“, wurde ihm nun bewusst. „Ich hatte keine andere Wahl. Das war die einzige Möglichkeit“, gab Eva zu. „Und Sie machen da auch noch mit?“, wandte sich Brock nun an die Staatssekretärin. „So jemand wie Sie, ist für diese Haftanstalt nicht tragbar“, gab Kaltenbach ihm zur Antwort. „Das habt ihr euch ja fein ausgedacht. Damit kommen Sie nicht durch“, schrie er die Frauen und den Staatsanwalt an. „Wir werden sehen. Sie können nun gehen, Herr Brock. Aber ich warne Sie. Sollte mir irgendetwas zu Ohren kommen, sind Sie auf der Stelle suspendiert!“, warnte Eva ihn vor. Der Beamte erwiderte nichts, sondern verließ mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck das Büro.

 

Gibt es sonst noch Dinge, die Ungereimtheiten aufweisen könnten?“, hatte sich Köppel Notizen gemacht. „Herr Brock hat vor ein paar Jahren in einem Jugendgefängnis gearbeitet. Es könnte sein, dass er dort auch schon Schutzbefohlene gequält hat“, schob Eva dem Staatsanwalt Brocks Akte hin. Dieser las sie aufmerksam. „Gibt es Leute, die seine Schutzbefohlenen waren?“, wollte er wissen. „Es gab mal eine Kollegin, die hat ihn gekannt. Sie arbeitet aber hier nicht mehr. Ich kann aber die Akte holen und sie anrufen“, bot Eva an. „Ich bitte darum. Und wenn sie Zeit hat, soll sie sofort hierher kommen. Die anderen, die davon wussten und involviert waren, möchte ich auch sprechen“, kam von Staatsanwalt. „Ich kümmere mich sofort darum“, sagte Eva und betätigte ihre Sprechanlage. „Frau Mohr, bitte suchen Sie mir die Akte von Frau Kallweit raus und rufen Sie in der Wäscherei an. Ein Beamter soll Frau Jesske und Frau Stenzel in mein Büro bringen.“ „Wird sofort erledigt“, bekam sie zur Antwort. „Wie geht es nun weiter?“, schaltete sich jetzt Evelyn Kaltenbach ein. „Ich werde jeden einzelnen befragen. Wenn es wirklich so ist, wie Sie sagen, wird er um eine Verhandlung nicht herum kommen“, gab Köppel Auskunft. „Wie sehen Sie die Chancen, dass er verurteilt wird?“, stellte Evelyn die nächste Frage. „Das kann nur der Richter oder die Richterin entscheiden. Aber ich werde dann eine angemessene Strafe beantragen.“

Nachdem Möhrchen die Akte von Daniela Kallweit rein gereicht hatte, machte sich Eva sofort ans Telefon und wählte die angegebene Nummer. Sie hatte Glück. Nachdem zweiten Klingeln, meldete sich die ehemalige Beamtin am Telefon. „Frau Kallweit, gut, dass ich Sie erreiche. Es geht um Herrn Brock. Können Sie bitte nach Reutlitz kommen? Die Sache ist zu kompliziert, um sie am Telefon zu erklären. Bis nachher. Auf Wiederhören“, legte Eva nach dem kurzen Wortwechsel den Hörer wieder auf. „Sie wird in einer halben Stunde hier sein“, gab Eva die Information weiter. „Gut. Gibt es sonst noch Kollegen, die zu ihm etwas sagen könnten?“, machte er sich weitere Notizen. „Die direkt betroffen sind, sind die Kollegen Peter Kittler und Birgit Schnoor. Frau Schnoor arbeitet aber derzeit nicht“, kam von Eva. „Ich möchte sie trotzdem sprechen.“ Diesmal bat Eva Möhrchen, bei Birgit Schnoor anzurufen, da die Insassinnen Jesske und Stenzel schon von einem Beamten herein geführt wurden.

 

Nachdem die beiden ihre Aussagen gemacht hatten, wollte Ginger wissen, ob sie nun etwas zu befürchten hätten. „Nein. Wenn allerdings etwas sein sollte, können Sie jederzeit zu mir oder Frau Adler kommen und wir kümmern uns dann darum“, gab Eva Entwarnung. Nachdem die beiden beruhigt waren, wurden sie wieder zurück in die Wäscherei gebracht. Kurze Zeit später klopfte es an der Tür und Möhrchen schaute rein. „Frau Kallweit ist jetzt da.“ Eva nickte und die Sekretärin öffnete die Tür weiter, so dass die ehemalige Beamtin eintreten konnte.

 

Guten Tag, Frau Kallweit. Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken?“, kam von Eva. „Nein, danke. Sie sagten am Telefon, dass es um Herrn Brock geht. Um was denn genau?“, interessierte sie das viel mehr. „Herr Brock hat Frau Schnoor sexuell belästigt“, kam die Leiterin der Anstalt schnell auf den Punkt. „Um Gottes Willen“, schlug Daniela ihre Hand vor den Mund. „Wir sind jetzt dabei zu klären, ob er noch mehr solche Taten begangen hat. Ich weiß, dass Sie nicht gern über Ihre Zeit im Jugendgefängnis sprechen. Aber ich muss Sie das nun fragen. Hat Herr Brock auch Sie sexuell belästigt?“ Daniela schwieg.

 

 

Teil 21

 

Frau Kallweit, bitte antworten Sie“, kam von Eva nach einer Weile. „Ja. Nein. Ich meine, nein, er hat mich nicht sexuell belästigt. Aber…“, verstummte Daniela danach wieder. „Was aber? Sie müssen jetzt alles sagen, was Sie wissen. Also?“, sah Eva sie erwartungsvoll an. „Er hat mich zwar nicht sexuell belästigt. Aber er hat mich erpresst“, gestand die ehemalige Vollzugsbeamtin nach und nach. „Mit was hat er Sie erpresst?“, sah Köppel sie nun genauer an. „Er wollte jedem erzählen, dass ich im Jugendknast saß, wenn ich nicht mache, was er sagt“, gab sie nun preis. „Wieso sind Sie denn nicht zur Anstaltsleitung gegangen?“, bohrte der Staatsanwalt immer mehr nach. „Weil ich Angst hatte. Wissen Sie wie das ist, wenn man immer daran erinnert wird, dass man selbst mal im Knast saß? Es ist kein schönes Gefühl.“ „Hatten Sie Angst, dass ich Sie dann entlasse?“, kam nun von Eva. „Ja. Deswegen hab ich das auch nicht in meine Bewerbungsunterlagen geschrieben. Sonst hätte ich doch nie diese Stelle bekommen“, gab Daniela nun zu. „Frau Kallweit. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Und dass Sie Vollzugsbeamtin geworden sind, das beweist doch, dass Sie mit gutem Beispiel voran gehen“, stand Evelyn Kaltenbach an der Seite von Evas Schreibtisch und sprach zu Daniela. „Danke, das ist sehr nett. Was passiert denn jetzt mit Herrn Brock?“, wollte sie wissen. „Nun. Ich nehme erst mal alle Aussagen zu Protokoll und dann wird er angeklagt. Sie werden dann Post von uns bekommen, wegen der Zeugenaussage vor Gericht“, erklärte der Staatsanwalt. „Gut. Kann ich nun gehen?“, wollte sie wissen. „Ja, Sie können nun gehen. Natürlich nur, wenn die beiden Damen keine Fragen mehr haben“, sah er zu Eva und Evelyn. „Nein, Frau Kallweit kann jetzt gehen“, kam von Eva. „Danke, dass Sie mich informiert haben“, erhob sich Daniela. „Danke, dass Sie uns geholfen haben“, reichte Eva ihr die Hand zum Abschied.

 

Entschuldigung, dass ich hier so rein platze. Frau Mohr rief mich an und sagte, dass ich hierher kommen soll und dass es um den Kollegen Brock geht“, stand Birgit in der Bürotür. „Sie müssen Frau Schnoor sein“, trat Köppel an sie heran und streckte seine Hand aus, um sie zu begrüßen. „Ja, ich bin Birgit Schnoor. Was ist nun mit Herrn Brock?“, wollte auch sie sofort wissen. „Setzen Sie sich erst mal. Frau Dr. Kaltenbach hat mich über gewisse Vorfälle informiert. So leid es mir tut, aber ich muss Sie noch mal zu dem befragen, was Herr Brock zu Ihnen gesagt hat. Sie können sich Zeit lassen. Erzählen Sie einfach in Ruhe.“ „Ich war vor einigen Jahren schwanger und habe das Kind verloren. Unglückliche Umstände. Herr Brock und auch die Kollegen haben immer wieder gestichelt, dass ich froh sein kann, dass ich das Kind verloren habe, da es ja von einem Perversen war. Der Schließer, mit dem ich damals zusammen war, hatte seelische Probleme und hat sich selbst erschossen. Irgendwann konnte ich mit den Sticheleien umgehen und sie ignorieren. Bis Herr Brock vor einigen Monaten wieder und wieder damit anfing“, erzählte Birgit. „Was genau hat er denn gesagt?“, fragte Köppel weiter. Auch für ihn war es ein sensibles Thema. „Er meinte, dass ich immer wieder an solche Schweine gerate und ich nichts Besseres verdient hätte. Wenn ich ein Kind haben will. Dann würde er mir auch eins machen – auch gegen meinen Willen. Allerdings wäre das dann auch ein Kind von einem Schwein“, fiel es ihr schwer, ihre Tränen zurückzuhalten. „Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen. Herr Brock meinte, dass er Ihnen auch ein Kind gegen Ihren Willen machen würde. Glauben Sie, dass er es ernst meinte und es wirklich getan hätte?“ Langes Schweigen trat ein. „Frau Schnoor?“, fragte er nach. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es getan hätte. Sein Blick hat es verraten“, kam von der Beamtin. „Danke, wenn Sie wollen, können Sie nun gehen“, wurde sie danach in Ruhe gelassen.

 

Meinen Sie, dass das ausreicht für eine Anzeige?“, fragte Evelyn, nachdem auch Peter Kittler befragt worden war. „Das reicht auf jeden Fall. Ich denke, dass es jetzt nur noch um die Länge der Haftstrafe geht. Aber das wird bei Gericht entschieden. Sind Sie sich sicher, dass Herr Brock Ihre Warnung ernst nahm, Frau Baal?“, wandte er sich an die Leiterin. Eva reagierte allerdings nicht drauf. Sie musste wieder an ihre Affäre mit diesem Beamten denken. „Wenn ich diese Frage beantworten dürfte. Ich hab mir eben seine Urlaubstage angesehen und ich denke, es wäre angebrachter, ihn bis zum Prozess zu beurlauben.“ „Dieser Ansicht bin ich auch. Allerdings wollte ich Ihnen nicht vorgreifen. Wir sehen uns beim Prozess“, verabschiedete sich der Staatsanwalt.

 

Frau Baal? Ist alles in Ordnung?“, wollte Evelyn wissen, nachdem Köppel weg war. „Ja, es ist alles in Ordnung. Würden Sie Herrn Brock wegen dem Urlaub Bescheid sagen?“ „Natürlich. Trotzdem. Falls was ist, rufen Sie einfach an.“ Eva nickte nur stumm. Danach verließ auch Evelyn das Büro.

 

Eva lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Bald hat dieser Albtraum ein Ende.“

 

 Teil 22

 

Habt ihr es schon gehört?“, kam Jeanette über die Station gerannt. „Nee, was´n?“, war Ilse die Erste, die es wissen wollte. „Der Brock wurde beurlaubt.“ Ilse schaute sie skeptisch von der Seite an. „Was ist? Glaubst du mir etwa nicht?“, merkte das Jeanette. „Wo haste das überhaupt gehört?“, wollte ihr Gegenüber wissen. „Ich hab gehört, wie sich zwei Schlusen darüber unterhalten haben“, bekam sie zur Antwort. „Du hast gelauscht!“, zog Ilse die Augenbrauen hoch. „Sicher. Wie sollte ich es denn sonst gehört haben“, war die Insassin beleidigt. „Was hat Jeanettchen denn gehört?“, trat Walter an die beiden heran. „Die Baal hat den Brock beurlaubt. Warum weiß ich aber nicht“, gab sie ihr Wissen preis. „Nicht schlimm. Aber danke für die Auskunft“, nahm Walter einen Zug und lächelte. „Wieso? Weißt du etwa mehr?“, war nun auch Ilse interessiert. „Wer weiß“, tat der Boss der B geheimnisvoll. „Och, jetzt sag doch schon. Du weißt doch was“, drängelte Jeanette. „Ihr werdet es schon noch früh genug erfahren“, kam von Walter und ließ die beiden dann stehen. Sie schauten sich ungläubig an.

 

Was freust du dich denn so?“, fiel Uschi das Verhalten von Walter sofort auf. „Die Baal hat Brock beurlaubt“, flüsterte Walter ihr ins Ohr. „Echt? Meinst du, sie hat wegen der Sache schon was eingeleitet?“, hatte sich Uschi an die Stationstreppe gestellt. „Bestimmt. Die will den doch auch loswerden. Na ja, wird ja auch Zeit. Bald ist er im Knast“, funkelten ihre Augen. „Denkst du nicht, dass du dich zu früh freust? Noch ist doch nichts bewiesen“, war Uschi vorsichtiger. „Blödsinn!“, verhärtete sich Walters Gesichtszüge. „Umsonst wäre der doch nicht beurlaubt worden. Ich frag mich, wann die vors Gericht müssen“, fixierte Walter ihren Blick auf das Aquarium, wo Kittler und ein anderer Beamte drinnen saß. „Dann geh doch zur Baal und frag sie“, kam belustigt von Uschi. Erprobt drehte sich Walter zu ihrer Mitinsassin um. „Hey, das war ein Witz“, hob diese ihre Hände, als sie merkte, dass Walter es ernst damit war. „Für mich nicht. Ich frag nun Kittler, ob er mich zu ihr bringt“, kam von der. „Du spinnst doch. Die sagt dir das nie.“ „Das werden wir ja sehen“, war Walter schon kurz vor dem Aquarium. Uschi verdrehte gespielt die Augen und ging in die Zelle. „Herr Kittler, können Sie mich zu Frau Baal bringen?“, schaute sie den Beamten nun direkt an. „Sie waren doch erst dort. Was wollen Sie denn schon wieder von ihr?“, war Kittler gar nicht darüber begeistert, dass er schon wieder zur Verwaltung latschen musste. „Ich muss sie was fragen. Es ist wichtig“, ließ sich Walter nicht beirren. „Hätten Sie das nicht machen können, als Sie dort waren? Na, ich will mal nicht so sein. Sie werden schließlich auch älter. Da vergisst man ja schon mal was“, machte er sich darüber lustig. Nahm seine Mütze und verließ das Aquarium. Walter lächelte gespielt über seinen Scherz und ging hinter ihm her.

 

Hat sich der Staatsanwalt denn schon gemeldet?“, kam von Jutta, als Eva ihr vom Vormittag berichtet hatte. „Nein, noch nicht. Das wird er noch im Laufe des Tages tun. Die Hauptsache ist erst mal, dass er weg ist“, kam von Eva. „Da haben Sie recht. Wenn ich da an Baumann denke, was der sich alles erlaubt hat und bis wir erst mal dahinter kamen“, erinnerte sich Jutta nur sehr ungern daran. „Das wird uns nicht noch einmal passieren“, sagte Eva extra langsam und leise. „Herein“, schaute sie kurz auf, als es an der Tür klopfte. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Aber Frau Walter wollte Sie unbedingt noch mal sprechen, Frau Baal“, schaute der Beamte Kittler etwas verängstigt in den Raum. „Soll reinkommen“, war die Anweisung.

 

Womit kann ich Ihnen denn helfen?“, wollte Eva wissen, als Walter Platz genommen hatte. „Ich möchte wissen, warum Brock beurlaubt wurde?“, sah sie der Leiterin fest in die Augen. „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, verschränkte Eva die Arme vor ihrer Brust. „Weil ich Ihnen zufälligerweise geholfen habe“, raunte Walter. „Stimmt. Deswegen bin ich Ihnen gegenüber noch lange nicht zu irgendwelchen Aussagen verpflichtet.“ „Tze. Und ich hab mich von Uschi breitschlagen lassen, zu helfen. Noch einmal wird mir das aber nicht passieren!“ „Momentan“, sagte Eva, als ihr Telefon klingelte. „JVA Reutlitz Baal? Was, so schnell? Nein, natürlich nicht. Danke für die Information. Auf Wiederhören“, hatte sie nach kurzer Zeit wieder aufgelegt. „Nun zu Ihnen, Frau Walter. Es war Ihnen freigestellt, ob sie den Schließern und mir helfen. Eins kann ich Ihnen sagen. Ihre Mithilfe war nicht umsonst.“ „Und was heißt das jetzt direkt?“, verstand sie immer noch nicht. „Das werden Sie noch früh genug erleben. Frau Mohr, Frau Walter kann zurück auf Station.“ Walter erhob sich und ging zur Tür. „Ich hoffe, ich kann mich auf Sie verlassen.“

 

Walter ließ die Tür einen Spalt offen, machte aber ein Handzeichen, dass Kittler ruhig sein sollte. Dann legte sie ihr Ohr an die Tür, um mitzuhören:

Das war der Staatsanwalt. Der Prozessbeginn wird schon morgen sein.“ „Das ist gut. Hätte ich ja nicht gedacht, dass es so schnell geht“, kam von Jutta. Mit einem genüsslichen Lächeln schloss Walter ganz leise die Bürotür. „Ich auch nicht“, sagte sie zu sich selbst. „Komm jetzt. Wir haben nicht ewig Zeit“, zog Kittler an Walters Jacke. Diese ging bereitwillig mit. Bald also war sie Brock für immer los.

 

 

Teil 23

 

 

 

 

 

„Hey. Was lächelst du denn so? Hattest du etwa Erfolg?“, wollte Uschi wissen, als Walter wieder auf Station war. „In gewisser Weise schon“, tat diese geheimnisvoll. „Nun sag doch schon. Du grinst doch nicht umsonst so.“ Uschi blickte sie erwartungsvoll an. „Komm mit“, zog Walter sie am Arm in ihre Zelle. „Langsam“, stolperte Uschi hinterher.

 

„Also?“, saß Uschi ungeduldig auf einem der Betten. „Sie wollte mir es nicht sagen. Ich werde es schon noch sehen, kennst sie ja“, zündete sich Walter eine Zigarette an. „Und wie hast du es dann doch rausbekommen?“, interessierte es Uschi. „Sie hat mich dann raus geschickt. Aber ich hab die Tür einen Spalt offen gelassen und habe gelauscht“, blies sie den Rauch aus. „So so. Hast also gelauscht und was hast du gehört?“ Walter setzte sich neben Uschi aufs Bett. „Als ich im Büro war, klingelte das Telefon. Die Baal hat aber nicht gesagt, wer es war“, tat Walter immer noch geheimnisvoll. „Na, dir wird sie es wohl kaum erzählen“, schmunzelte Uschi. „Das weiß ich auch. Der Geier war mit im Büro und als ich an der Tür gelauscht hab, habe ich gehört, wie die Baal zum Geier meinte, dass das der Staatsanwalt war und morgen schon der Prozess beginnt“, wurde Walters Grinsen immer breiter. „Bist du sicher, dass du dich nicht verhört hast?“, war Uschi noch nicht ganz überzeugt. Walters Grinsen verschwand und ihre Gesichtszüge wurden ernst. „Glaubst mir etwa nicht? Ich weiß doch, was ich gehört habe“, schaute sie Uschi sauer von der Seite an. „Sicher glaube ich dir. Wir sollten uns bloß noch nicht zu früh freuen. Und wir kennen die Baal. Vielleicht steckt die mit dem unter einer Decke“, war die grauhaarige Insassin noch immer skeptisch. „So ein Quatsch. Ist mir schon klar, dass du sie nicht leiden kannst. Aber diesmal ist es anders. Glaub mir.“ „Was macht dich denn da so sicher?“, wollte Uschi wissen. „Sie macht kein linkes Ding. Umsonst hat die sicherlich nicht gesagt, dass ich schon sehen werde, was passiert. Die will den auch loswerden“, zog sie an ihrer Zigarette. „Ja, ich glaube dir“, gab Uschi sich nun geschlagen.

 

„Wir müssen jetzt nur noch überlegen, welche Beamte noch mitfahren“, kam von Jutta gegen Abend. „Ich habe mir überlegt, dass Herr Wilborn mitfährt“, gab Eva Auskunft. „Allein? Meinen Sie nicht, dass mindestens noch einer mitfahren sollte?“, wurde Jutta stutzig. „Ich habe ja nicht gesagt, dass er allein fahren muss. Ich werde zusätzlich mitfahren.“ Jetzt schaute Jutta Eva richtig schockiert an. „Sind Sie sich da sicher? Ich meine…“, stockte Jutta. Damit hätte sie nun nicht gerechnet. „Natürlich bin ich mir sicher. Ich bin ja nur zum Hören dort und nicht als Zeugin geladen. Und Brock wird mir nichts tun können, falls Sie das meinten“, war Eva unterkühlt. „Es geht mich ja insofern auch nichts an.“ „Eben. Ich gehe jetzt auf Station und sage Frau Stenzel und Frau Jesske Bescheid. Würden Sie Herrn Kittler und Frau Kallweit informieren?“, bat Eva ihre Kollegin. „Ja, aber bekommen die nicht ein Schreiben, wegen dem Prozess?“, war Jutta sichtlich überfragt. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass Eva bei dem Prozess dabei sein wollte. „Im Normalfall schon. Aber da der Prozess schon morgen sein wird, ist das für den Postweg zu lang“, kam von Eva. „Stimmt. Ja, ich kümmere mich drum.“

 

„Hey, ihr beiden. Wisst ihr schon, dass morgen bereits der Prozess beginnt?“, setzte sich Walter mit an den Tisch, wo Annika und Ginger saßen. „Morgen schon? Woher weißt du das denn?“, kam erschrocken von Annika. „Hab ich gehört. Dann wird euch die Baal wohl noch informieren. Kann ich mich denn auf euch verlassen?“, blickte Walter den beiden abwechselnd in die Augen. „Inwiefern verlassen?“, war Annika überfragt. „Kann ich mich auf euch verlassen, dass ihr euch morgen nicht einschüchtern lasst und ihr alles sagt, was ihr wisst?“ „Natürlich. Haben wir doch bei Natascha auch gemacht“, kam diesmal von Ginger. „Ja, wir wissen aber auch, was du gemacht hast, als Natascha wieder aus Preekow zurück war“, fixierte Walter Ginger mit ihrem Blick. „Mensch, das vergisst du wohl auch nie, was? Ginger wird diesen Fehler nicht noch einmal machen. Und Natascha ist sowieso weg“, verteidigte Annika ihre Freundin. „Schon gut. Ich will dieses Schwein hier nicht mehr sehen.“ Die beiden Insassinnen nickten und Walter nickte zufrieden.

 

„Frau Stenzel, Frau Jesske. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass morgen der Prozess beginnt. Sie sind dann von der Arbeit freigestellt“, stand Eva wenig später im Gruppenraum. „Gut, dann wissen wir Bescheid. Danke, Frau Baal“, kam von Ginger. „Schönen Abend noch“, war sie kurz darauf schon wieder verschwunden. „Schönen Abend noch, Frau Baal“, stand Walter mit einer Zigarette in der Hand an der Tür zum Gruppenraum. Eva wechselte mit ihren einen Blick, nickte ihr kurz zu und ging danach weiter. Walter wusste, dass Eva verstanden hatte, was sie meinte.

 


 

Teil 24

 

 

 

 

Guten Morgen“, stand Walter kurz vor Arbeitsbeginn in der Zelle von Annika und Ginger. „Morgen. Du musst es uns nicht noch mal sagen. Wir wissen, was du willst“, kam genervt von Ginger. Nur weil sie erneut auf Natascha reinfiel, durfte sich Ginger das immer und immer wieder anhören. Ginger war zwar auf sie hereingefallen, hatte aber auch teuer bezahlt dafür. „Dann ist gut. Ich möchte dann genaue Berichtserstattung“, kam von Walter. „Bekommst du“, kam von Ginger gelangweilt zurück. „Frau Stenzel, Frau Jesske. Sind Sie soweit?“, stand David Wilborn im Türrahmen. „Sind wir“, machten sich die beiden Frauen bereit. „Bis dann, Mädels“, zwinkerte Walter den beiden zu und verschwand dann.

 

Bitte steigen Sie ein“, standen die Drei wenig später auf dem Gefängnishof vor einem blauen Gefängnistransporter. Nacheinander waren Annika und Ginger eingestiegen und David schloss von außen die Tür. Danach stieg er vorne ein.

 

Frau Baal?“, traute David seinen Augen nicht, als er hörte, dass eigentlich seine Chefin mitfahren wollte, dann aber wen anderes schickte und er sie vor dem Gericht stehen sah.

Guten Morgen, Herr Wilborn. Stört es Sie etwa, dass ich bei der Gerichtsverhandlung dabei sein werde?“, fragte sie leicht ironisch. „Nein, das steht Ihnen ja frei. Ich dachte nur, weil na ja.. Sie und Herr Brock“, brach David dann seinen Satz lieber ab, bevor er sich noch mehr verstrickte. „Ich möchte das Urteil nicht aus der Zeitung erfahren. Das werden Sie mir als Leiterin von Reutlitz wohl zugestehen“, ging Eva gar nicht auf den Satz von David ein. „Natürlich. Entschuldigen Sie“, war ihm die momentane Situation etwas peinlich. „Hey, wann können wir denn endlich raus hier?“, klopfte es von Innen an die Tür des Transporters und man hörte die Stimme von Ginger. „Wollen Sie die beiden nicht mal rausholen? Das sind immerhin wichtige Zeugen“, wurde auch Eva auf die Geräusche im Transporter aufmerksam. Ohne ein weiteres Wort, öffnete der Beamte die Tür vom Transporter. „Das hat ja ewig gedauert. Wissen Sie überhaupt, wie warm das da drinnen ist?“, sprang Ginger raus und schimpfte gleich los. „Guten Morgen, Frau Stenzel. So mitteilebedürftig am frühen Morgen kenne ich Sie überhaupt nicht“, zog Eva gespielt die Augenbrauen hoch und auf ihren Lippen erkannte man ein leichtes Grinsen. „Ist doch aber wahr!“, protestierte Ginger weiter. „Komm, du bist doch jetzt an der frischen Luft“, verspürte Ginger einen leichten Schubs von Annika. „Sind die Damen denn nun fertig?“, kam diesmal leicht ironisch von David. „Jaaa“, kam gleichzeitig von Ginger und Annika. „Gut. Dann können wir jetzt weitergehen. Frau Baal ist schon voraus gegangen“, deutete David mit seinem Finger auf Eva.

 

Frau Baal? Sie hier? Was für eine Ehre.“ Es war die Stimme von Brock. „Das ist aber auch die letzte Ehre sein“, konterte Eva. „Sei dir da mal nicht so sicher. Ich komme wieder. Das wirst du schon sehen“, wurde Brock überheblich. „Seien Sie sich da mal nicht so sicher. Das letzte Wort hat immer noch der Richter und nicht Sie“, prallte die Drohung an Eva ab. Von Brock kam nur ein müdes Lächeln. „Lassen Sie uns reingehen“, forderte Eva und betrat das Gebäude. Hinter ihr folgten David, Ginger und Annika. Brock war der Letzte, der das Gebäude betrat.

 

Ein Stück vom Gerichtsgebäude stand eine Frau mit brauen, schulterlangen Haaren, die die Tür nicht aus den Augen ließ. „Jetzt bekommst du deine gerechte Strafe, du Mistkerl“, murmelte die Frau vor sich hin und ging weiter.
 

 

Teil 25

 

 

 

 

 

Kommen Sie. Die Verhandlung beginnt in wenigen Minuten“, drängte Kathrine Sass ihren Mandanten. „Einen Moment noch“, kam von Brock. Dann wandte er sich Eva zu. „Das wirst du noch bereuen“, raunte er ihr ins Ohr. Eva reagierte gar nicht auf seine Drohung, sah ihn nur eindringlich an. „Kommen Sie jetzt. Sie dürfen keine Worte mit Anwesenden wechseln“, bekam die Anwältin das mit. Brock hob seine Hände und ging seiner Verteidigerin hinterher. Eva blickte ihm nach, schüttelte dann den Kopf. Wieder kamen die Gedanken in ihr hoch, dass sie mal eine Affäre hatte. Eine Zweck-Affäre. Er hatte sie nur benutzt, damit er Evas Platz bekam. Und sie war auch noch so dumm, zu kündigen. Zum Glück hat Evelyn Kaltenbach sie zurückgeholt. „Frau Baal?“, wurde sie von David Wilborn aus den Gedanken gerissen. „Ja?“, sah sie ihn an. „Kommen Sie? Die Verhandlung beginnt jetzt“, kam von ihm. „Gehen Sie schon mal vor. Ich komme gleich.“ Nachdem auch David im Gerichtssaal verschwunden war, ging Eva noch einige Schritte. Heute würde ihm der Prozess gemacht werden und Eva hoffte ganz doll, dass er zu einer angemessenen Gefängnisstrafe verurteilt werden würde. Sie merkte selbst, dass der Stress der letzten Tage, deutlich an ihren Nerven gezogen hatte. „In wenigen Stunden, ist der Spuk vorbei“, sagte sie zu sich selbst. Eva straffte ihre Schulter und machte sich auf den Weg zur geschlossenen Tür, wo bereits die Verhandlung begonnen haben musste.

 

Die Verteidigung von Herrn Edgar Brock wird von Anwältin Sass vertreten. Die Verteidigung von Herrn Peter Kittler wird von Anwältin Morka vertreten“, las der Staatsanwalt vor, als Eva den Gerichtssaal betreten und sich neben David Wilborn gesetzt hatte. „Sie haben gerade erst angefangen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Eva nickte nur und konzentrierte sich dann auf die Richterin. „Würden Sie bitte noch die Anklageschrift vorlesen, Herr Staatsanwalt?“, bat diese zunächst einmal. „Sicher“, räusperte er sich.

Dem Vollzugsbeamten Edgar Brock, wird Folgendes zur Last gelegt: Vor einigen Wochen soll er seine Kollegin, Frau Birgit Schnoor, sexuell belästigt haben. Wohlwollen in dem Wissen, dass sie ihr Kind vor Jahren verloren hatte, bot er ihr an, ihr noch mal eines zu schenken, wie er es nannte, wenn es sein müsste, auch gegen ihren Willen. Zudem wird ihm noch zur Last gelegt, dass er mit seinem Kollegen, Herrn Peter Kittler, der Insassin Natascha Sanin geholfen habe, heimlich ein Bordell aufzuziehen und zu leiten. Außerdem wird ihm noch zur Last gelegt, dass er auch schon in seiner Zeit als Beamter im Jugendgefängnis, Schutzbefohlene genötigt habe“, endete Köppel mit der Anklageschrift von Brock. „Dem Beamten Peter Kittler, wird Folgendes zur Last gelegt: Er soll zusammen mit seinem Kollegen, Herrn Edgar Brock, der Insassin Natascha Sanin geholfen haben, heimlich ein Bordell aufzuziehen und es zu leiten“, endete er auch mit dieser Anklageschrift.

Danke, Herr Köppel. Das sind ja einige Dinge, die Ihnen zur Last gelegt werden, Herr Brock“, wandte sich Richterin Thaler zunächst an Edgar Brock. „Möchten Sie sich dazu äußern?“, fragte sie ihn. „Mein Mandant nimmt Stellung dazu“, kommentierte seine Verteidigerin Sass. „Bitte“, erteilte Thaler Brock das Wort. „Also, ich bin mir keiner Schuld bewusst“, gab Edgar Brock von sich. „Dafür hat der Staatsanwalt aber eine ziemlich lange Anklageschrift vorgelesen. Nun. Dann stelle ich Ihnen jetzt ein paar Fragen. Ihnen wird vorgeworfen, Ihre Kollegin sexuell belästigt zu haben. Können Sie mir sagen, wie es dazu kam?“, wollte die Richterin wissen. „Das müssten Sie doch selbst wissen. Sie sind doch eine Frau.“ Er grinste abfällig. Eva verdrehte die Augen. Seine Arroganz konnte sie nicht mehr ertragen. „Das haben Sie gut erkannt. Aber leider ist es keine Antwort auf meine Frage“, blieb sie hart. „Es ist doch so. Wenn eine Frau Nein sagt, meint sie grundsätzlich immer Ja“, sagte er. „Sie geben also zu, dass Sie Ihrer Kollegin das Angebot gemacht haben?“, harkte Thaler nach. „Das dürfen Sie für sich selbst entscheiden“, machte Brock sich lustig. Die Richterin atmete kurz durch und widmete sich dann dem nächsten Punkt. „Gut. Wie ist es mit der Sache von dem Bordell und der Mithilfe?“, wollte sie als Nächstes wissen. „Den Schuh zieh ich mir nicht allein an. Fragen Sie ihn“, zeigte er mit Finger auf Kittler. „Keine Sorge. Ihren Kollegen befrage ich dann auch“, gab sie zurück. „Sie wissen doch. Die Sache mit dem Geld. Man möchte sich eben immer was dazu verdienen.“ Wieder verdrehte Eva die Augen. Wie konnte man nur so von sich selbst eingenommen sein? Allerdings. Wenn sie es sich recht überlegte. Es konnte ihr ganz recht sein, dass er sich so benahm. Umso schneller war sie ihn los.

Sie sind sich aber bewusst, dass das eine Straftat ist?“ „Sicher. Sonst wären wir ja nicht hier.“ „Wie Sie meinen. Kommen wir zum nächsten Punkt. Ich frage Sie jetzt direkt. Haben Sie im Jugendgefängnis einige Ihrer Schutzbefohlenen sexuell belästigt?“ Marina Thaler sah ihn eindringlich an. „Sie denken wohl auch, dass ich das größte Schwein bin, was?“, wurde ihm nun bewusst, dass ihm das Wasser schon bis zum Hals stand. „Das habe ich nicht gesagt. Beantworten Sie bitte nur meine Frage“, blieb die blonde Frau kühl. „Nein, habe ich nicht. Ich fand keine schön genug“, tat er gleich wieder siegessicher. „Oh, dann war ich wohl eine Ausnahme“, schallte eine Frauenstimme durch das Gericht. Alle drehten sich zu der Frau um. Neben ihr stand ein Kind. „Du wolltest unbedingt Sex – gegen meinen Willen und Jenny ist dabei herausgekommen“, zeigte sie auf das Mädchen neben sich. „Jenny, deine Tochter!“, sagte sie unterkühlt. Eva starrte regelrecht auf die beiden, die gerade den Saal betreten hatten. Brock hatte eine Tochter?
 

 

Teil 26

 

 

 

 

Darf ich fragen, wer Sie sind?“, wollte Thaler wissen, als die Schocksekunde vorbei war. „Mein Name ist Katharina Wolter“, stellte sich die Frau vor. „Gut. Frau Wolter. Wollen Sie eine genaue Aussage machen, was Herrn Brock betrifft?“ Katharina trat einige Schritte nach vorn. „Ja, damit dieses Schwein seine gerechte Strafe bekommt“, sagte sie hasserfüllt in die Richtung von Brock. „Nun mal langsam. Erst mal setzen Sie sich. Dann nehme ich ihre Personalien auf und dann, können Sie eine Aussage machen“, zügelte Marina das Temperament von Katharina. „Also. Sie heißen Katharina Wolter und wie alt sind Sie?“ Katharina atmete tief durch. „Ich bin 32 Jahre alt“, antwortete sie dann. „Und wo wohnen Sie und als was arbeiten Sie?“, wollte die Richterin wissen. „Ich bin Köchin in einem Altersheim und wohne in Berlin.“ Marina Thaler machte sich Notizen. „Verwandt oder verschwägert sind Sie mit dem Angeklagten nicht.“ Katharina schaute wieder zu dem Beamten rüber. Edgar Brock hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck. Er wusste genau, wen er vor sich hatte. „Ich nicht. Aber meine Tochter Jenny“, gab sie zu. „Und wie kommen Sie zu der Aussage, dass der Angeklagte der Vater Ihrer Tochter ist?“, wollte Köppel wissen. „Ich saß mal in dem Jugendgefängnis, wo er früher gearbeitet hat. Edgar… Ich meine, Herr Brock. Er hat mich damals vergewaltigt“, kam ruhig von ihr. „Und daraus ist dann Jenny entstanden?“, wollte der Staatsanwalt wissen. „Ja.“ Brock fing an zu lachen. „Was für ein Blödsinn! Das denkst du dir doch nur aus!“, kam von Brock. „Und wieso sollte sie das?“, interessierte es die Richterin. „Sie war eine kleine verwöhnte Göre. Als sie keine Vergünstigungen bekam, bot sie sich mir an.“ Katharina konnte gar nicht glauben, was sie da hörte. „Das stimmt doch nicht. Ich war überhaupt nicht verwöhnt!“, wehrte sie die Vorwürfe ab. „Warum haben Sie denn gesessen, Frau Wolter?“ „Ich habe mit Drogen gedealt und bin erwischt worden“, räumte sie ein. „Gut. Ich werde mir Ihre Akte trotzdem noch zukommen lassen. Sie sagten, dass Herr Brock Sie vergewaltigt hat. Gab es einen konkreten Grund dafür?“ Katharina schwieg einen Moment. Ihr fiel es anscheinend schwer, über damals zu sprechen. „Dieser Mann braucht keinen Grund, wenn er Lust auf Sex hat“, sagte Katharina frei heraus. Für den Staatsanwalt Köppel war die Sache glasklar. „Damit ist es wohl bewiesen, dass Sie ein Vergewaltiger sind, Herr Brock“, warf er ihm vor den Kopf. „Bitte, Herr Kollege. Noch ist doch gar nichts bewiesen. Nur weil eine Frau behauptet, dass er sie vergewaltigt habe und dann auch noch der Vater von dem Kind sein sollte“, feuerte Anwältin Sass ihm entgegen. „Nicht nur eine Frau. Wir haben noch seine Kollegin, die er auch sexuell belästigt hat“, kam wieder von ihm. „Das beweist noch lange nicht, dass mein Mandant auch der Vater von Frau Wolters Kind ist“, blieb sie hart. „Gut. Frau Wolter. Wären Sie und Ihre Tochter mit einem Vaterschaftstest einverstanden?“, wollte Richterin Thaler wissen. Katharina sah zu ihrer Tochter. Nachdem diese nickte, willigte auch sie ein. „Ja.“ „Und Sie, Herr Brock?“, wandte sie sich nun ihm zu. Eva saß immer noch gespannt neben David und hoffte, dass Brock ablehnen würde. „Dann wärst du nämlich noch auffälliger!“, sagte sie zu sich. David wurde aufmerksam. „Haben Sie was gesagt, Frau Baal?“, blickte er sie an. „Nein, ich habe nur was überlegt“, verneinte sie und richtete ihren Blick wieder nach vorn. Ihre Augen strahlten eine eisige Kälte aus.

Ja, bin ich.“ Die Richterin nickte. „Dann unterbreche ich die Verhandlung für 20 Minuten und Katharina und Jenny Wolter wie auch Herr Brock begleiten mich bitte“, erhob sie sich von ihrem Stuhl und wartete auf die Drei.

 

Glauben Sie, dass er der Vater von dem Mädchen ist?“, wollte David von Eva wissen, als sie im Flur des Gerichtsgebäude standen. „Das wird der Test zeigen“, kam eher abwesend von Eva. Auch ihr Angestellter merkte das, sagte aber nichts.

Brock sollte tatsächlich der Vater von dem Mädchen sein. Wenn das wirklich so war und diese Katharina die Wahrheit sagte. Dann konnte Eva froh sein, dass sie die Affäre zu Brock nicht noch mehr vertieft hatte. Sie konnte zwar nicht mehr schwanger werden, aber eine Vergewaltigung war wohl das Schlimmste was einer Frau passieren kann.

 

Da das Ergebnis des Vaterschaftstests erst morgen vorliegt, wird die Verhandlung morgen fortgesetzt. Dann werden auch Frau Schnoor, Frau Kallweit, Frau Jesske und Frau Stenzel aussagen. Die Verhandlung ist für heute geschlossen.“

 

Jetzt sind wir umsonst hier gewesen“, maulte Annika auf dem Rückweg herum. „Quatsch! War doch sehr informativ. Mensch, Brock ist wahrscheinlich Vater und kommt in den Knast“, grinste Ginger dafür. „Stimmt, so gesehen war es doch ganz gut, dass wir dort waren“, grinste jetzt auch Annika. „Gut, dass die Tür einen Spalt offen war.“

 

Am Abend saß Eva in Schlapperklamotten auf der Couch und goss sich ein Schluck Wein ein. Dass Brock eine Tochter haben sollte, wollte einfach nicht in ihren Kopf. Katharina musste unglaublich gelitten haben, als Brock sie vergewaltigt hatte. Ihre Gedanken schwirrten. Eva wusste, wie viel Kraft er haben konnte. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem Natascha geflohen war. Zuerst wollte sie mit ihm ja gar keinen Sex haben. Es war dann einfach so passiert. Eva hatte das Licht ausgeschaltet. Nur noch der Vollmond, der durch ihr Fenster schien, spendete ihr noch Licht. Bald würde sie ihn los sein. Mit diesem Gedanken erhob sich Eva und ging in ihr Schlafzimmer.

 

Teil 27

 

 

 

 

Am nächsten Tag saßen Eva und David wieder zum Zuhören im Gerichtssaal. Ginger, Annika, Daniela Kallweit und Birgit Schnoor waren als Zeugen geladen. Sie saßen draußen und wurden dann für ihre Aussagen, aufgerufen. Brock und Kittler saßen mit ihren Verteidigerinnen auf der Anklagebank. Wenn man Edgar Brock genauer betrachtete, konnte man sehen, dass ihm mulmig war. Anscheinend wusste er auch ohne Vaterschaftstest, dass er der Vater von Jenny Wolter war. Evas Augen tanzten leicht. Es war eine Genugtuung zu sehen, dass Brock ins Schwimmen kam.

 

Wir verhandeln heute weiter die Strafsache von Herrn Edgar Brock und Herrn Peter Kittler. Die Verteidigung übernehmen wieder Frau Sass und Frau Morka“, kam vom Staatsanwalt. „Danke, Herr Köppel. Nach der gestrigen Verhandlung wurde ein Vaterschaftstest von Jenny Wolter und Edgar Brock durchgeführt. Heute Morgen bekam ich das Ergebnis. Herr Brock, Sie sind zu 99,9% der Vater von Jenny Wolter. Möchten Sie dazu Stellung beziehen?“, verkündete die Richterin. „Wenn ich es eher gewusst hätte, dass sie schwanger ist, hätte ich es verhindert“, kam von ihm. „Das darf doch wohl nicht wahr sein“, raunte David. Eva sah ihn nur von der Seite an. Auch Eva konnte darüber nur den Kopf schütteln. Brock war ein Schwein. „Da ist ein Widerspruch drinnen, Herr Brock. Erst erzählen Sie uns, dass Sie Ihrer Kollegin ein Kind machen wollen und jetzt wollten Sie eine Schwangerschaft, wenn Sie von dieser gewusst hätten, abbrechen. Das passt irgendwie nicht so ganz zusammen“, fasste Köppel noch mal zusammen. „Das ist doch vollkommen was anderes“, kam als Antwort von ihm. „Dann erklären Sie uns bitte den Unterschied“, forderte die Richterin ihn auf. Er wartete einige Minuten, dann winkte er mit der Hand ab. „Gut. Dann bitte ich jetzt Frau Daniela Kallweit rein. Nachdem sie auch von ihr die Personalien aufgenommen hatte, begann Sie mit der Befragung. „Wie ich aus der Aussage, die Sie schon beim Staatsanwalt gemacht haben, entnehmen konnte, waren Sie auch in demselben Jugendgefängnis, wie Frau Wolter“, kam von der Richterin. „Das ist richtig“, bestätigte Daniela. „Haben Sie irgendwas mitbekommen, dass der Angeklagte Frau Wolter damals sexuell belästigt und sogar vergewaltigt hatte?“, wollte Thaler nun wissen. „Na ja. Ich habe schon gemerkt, dass sie sich verändert hatte, da ich mit ihr auf einer Zelle war. Aber sie wollte es mir nicht sagen“, antwortete die ehemalige Vollzugsbeamtin von Reutlitz. „Dann haben Sie auch nicht bemerkt, dass Ihre Mitinsassin schwanger war?“, stellte nun der Staatsanwalt die nächste Frage. „Nein. Sie sagte zwar, dass ihr schlecht war, ging aber von einer Magenverstimmung aus. Vier Tage später wurde Sie entlassen. „Danke, keine weiteren Fragen“, gab Köppel sich damit zufrieden. „Ich hätte noch eine Frage“, erhob sich nun die Anwältin Sass. „Bitte“, gab die Richterin die Befragung frei. „Frau Kallweit. Glauben Sie wirklich, dass mein Mandant zu so etwas fähig wäre?“, wollte sie wissen. „Mich hat er zwar nicht belästigt, aber zutrauen würde ich ihm das schon.“ „Danke“, nahm die Anwältin wieder Platz und flüsterte Brock etwas ins Ohr.

 

Birgit Schnoor fiel die Aussage schwer. Durch die Erzählungen, erlebte sie alles noch einmal vor ihrem inneren Auge. Nachdem diese Beweisaufnahme geschlossen war, verhandelten sie die Sache mit dem Bordell. „Herr Kittler, Sie haben noch einmal gehört, was Ihnen und Ihrem Kollegen vorgeworfen wird. Wollen Sie dazu Stellung beziehen?“, fragte die Richterin zunächst Peter Kittler. „Ich bekenne mich schuldig. Ich hätte das nicht tun sollen. Bitte, schicken Sie mich nicht ins Gefängnis“, lief ihm der Schweiß runter. „Schön, dass Sie sich schuldig bekennen. Aber ob Sie ins Gefängnis gehen, entscheiden wir später. Warum sind Sie überhaupt darauf eingegangen?“, stellte sie die nächste Frage. „Ich weiß es nicht. Der Reiz. Es tut mir wirklich leid“, wischte er sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. „Würden Sie es noch mal tun, wenn man Sie darum bitten würde?“, wollte der Staatsanwalt wissen. „Nein, das war ein großer Fehler“, sagte Kittler aus. „Danke, keine weiteren Fragen“, nahm auch Köppel wieder Platz. „Herr Brock, was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?“, wandte sich Marina nun an Edgar. „Ich sage nichts mehr dazu“, kam sauer von ihm.

 

Ja, an deiner Stelle hätte ich das jetzt auch gesagt. Bald sitzt du im Knast…, sagte Eva in Gedanken zu sich.

 

Dann rufe ich nun Antje Stenzel in den Zeugenstand“, wartete man nun darauf, dass Ginger eine Aussage machte. „Sie haben nun gehört, was den beiden Beamten vorgeworfen wird“, meinte die Richterin. „Und es ist nicht gelogen. Brock wollte immer wieder. Wollte sogar Natascha hintergehen und mehr Kohle einstreichen, als ihm zustand“, sagte Ginger. „Hatten Sie sehr unter ihm zu leiden?“ Ginger wartete einige Momente. „Nein, aber es war nicht angenehm seine Sucht zu befriedigen und seine arrogante Art dabei zu ertragen.“ „Glauben Sie, dass er weitergemacht hätte, wenn das Bordell nicht aufgeflogen wäre?“ Ginger nickte. „Ja, das hätte er.“ „Meinen Sie nicht, dass Sie etwas übertreiben?“, wollte Brocks Anwältin wissen. „Sie wissen nicht, wie dieser Mensch sein kann. Dann hätten Sie nämlich eine andere Meinung“, sah Ginger die Anwältin an. „Und Herrn Kittler? Immerhin hat er mit seinem Kollegen gemeinsame Sache gemacht“, wollte die Richterin wissen. „Ich denke schon, dass es ihm leid tut. Er stand eben unter dem Einfluss von Brock.“

 

Nachdem auch Annika ihre Aussage gemacht hatte, zog sich die Richterin zurück, um über das Urteil zu entscheiden.

Jetzt wanderst du in den Knast…, sagte sich Eva erneut in Gedanken, als Thaler den Saal betrat.

 

Im Namen des Volkes, ergeht folgendes Urteil: Sowohl Herr Edgar Brock als auch Herr Peter Kittler werden für schuldig befunden. Herr Kittler hat gleich zu Anfang seine Schuld gestanden und zeigte sich reumütig. Daher halte ich 12 Monate auf Bewährung für angemessen. Im Gegensatz zu Herrn Brock. Er zeigte in dieser Verhandlung keinerlei Reue und man merkte, dass er sehr von sich selbst eingenommen ist. Auch die Aussagen von den Zeugen decken sich. Hinzu kommt, dass er durch die Vergewaltigung von Katharina Wolter auch ein Kind gezeugt hat. Danach halte ich eine Strafe von 4 Jahren und 3 Monate ohne Bewährung für angemessen. Gegen dieses Urteil kann Revision eingelegt werden, ab heute. Die Verhandlung ist geschlossen.“

 

Brock wurde sofort von einem Beamten abgeführt. In Evas Blick sah man Erleichterung. Endlich war dieser Mann für lange Zeit weggesperrt und sie konnte sich entspannen. 

 

 

Teil 28

 

 

 

Am Abend ließ Eva den Tag noch mal Revue passieren. Sie sah den Blick von Brock vor ihrem inneren Auge, als die Richterin das Urteil sprach. Er wirkte gefasst. Doch irgendwie wurde Eva das Gefühl nicht los, dass Brock über dieses Urteil entsetzt war.

 

Am nächsten Tag war es ungewohnt ruhig auf der Station. Anscheinend hatten schon alle mitbekommen, wie das Urteil ausgefallen war. „Schön, dass ihr alles gesagt habt“, stand Walter mit Uschi, Ginger und Annika in einer Gruppe. „Haben wir doch gesagt. Kannst uns das ruhig glauben“, war Ginger etwas verärgert. „Ich glaub euch doch. Ich kann nur mein Glück noch nicht fassen“, lachte Walter und zog an ihrer Zigarette. „Aua. Spinnst du?“, drehte sie sich schlagartig zu Annika um, als sie eine Art Stich spürte. Annika und der Rest der Gruppe grinsten. „Du hast gesagt, dass du dein Glück noch nicht fassen kannst“, erklärte die blonde Insassin ihre Attacke. Jetzt musste auch die Angegriffene lachen und machte sich zusammen mit den Mitinsassinnen auf den Weg zur Arbeit.

 

Guten Morgen, Frau Baal“, wurde Eva von Möhrchen begrüßt. „Morgen“, kam mürrisch von Eva. Möhrchen zuckte leicht zusammen. Sie wusste zwar, dass Eva unterschiedliche Launen hatte, aber heute war es anders als sonst. Wahrscheinlich lag es daran, dass Möhrchens Vorgesetzte erst mal realisieren musste, was gestern alles geschehen war. „Möchten Sie eine Tasse Tee?“, fragte Mohr vorsichtig. Eva suchte ein paar Akten zusammen. „Hmmm“, kam nur von ihr. Nachdem sie mit dem Durchsehen fertig war, blickte sie wieder auf. „Ist Frau Adler schon da?“ Abwartend sah sie Möhrchen ins Gesicht. „Ja, sie ist im Büro. Frau Adler kam heute schon sehr früh. Sie wissen ja, wegen gestern sind wir ja noch mehr unterbesetzt“, plapperte die Sekretärin einfach drauf los, biss sich aber sofort auf die Lippen. „Tut mir leid“, schob sie kleinlaut hinterher und senkte ihren Blick. „Bringen Sie mir dann meinen Tee ins Büro?“, ging Eva gar nicht darauf ein, was Möhrchen gesagte hatte. „Natürlich“, nickte diese schnell. Eva betrat, ohne ein weiteres Wort mit der Sekretärin gewechselt zu

haben, das Büro.

 

 

Morgen“, kam von Jutta Adler, als sie ihre Kollegin sah. „Morgen. Ich habe von Frau Mohr gehört, dass Sie schon länger hier sind“, sprach Eva zu ihrer Kollegin, während sie sich was aufschrieb. „Ja, das stimmt. Herr Wilborn hätte das allein nicht geschafft. Wie war denn die Verhandlung?“, fragte Jutta vorsichtig, da sie nicht wusste, wie Eva darauf reagieren würde. „Die Schuldigen haben ihre gerechte Strafe bekommen. Ich habe Frau Dr. Kaltenbach gestern noch anrufen. Sie wird uns im Laufe des Tages noch zwei neue Schließer schicken“, informierte Eva. „Gut. Dann gehe ich mal in die Wäscherei. Herr Wilborn wird sicher Hilfe brauchen. Sie kommen doch zurecht?“ Eva sah erneut auf. „Natürlich“, nickte sie.

 

Nachdem Möhrchen den Tee gebracht hatte und Jutta auf den Weg zur Wäscherei war, lehnte sich Eva in ihrem Stuhl zurück. Nun würden wohl bessere Zeiten kommen. Eva hatte den Gedanken im Kopf, sich ein paar Tage frei zu nehmen. Doch dann entschied sie sich dagegen. Das konnte sie nicht machen, da sie ja erst vor wenigen Tagen wiedergekommen ist. Es klopfte an die Tür. Eva setzte sich grade in ihren Stuhl und brachte noch schnell ihre Haare in Form, bevor sie „Herein“ sagte. Möhrchen steckte ihren Kopf durch den Türspalt. „Die zwei neuen Schließer sind da“, sagte sie und lächelte dabei. „Schicken Sie sie bitte rein“, bat Eva die Frau aus dem Vorzimmer. Eva war gespannt. Hoffentlich waren die beiden für den Posten geeignet. Evelyn Kaltenbach hatte ihre keine Informationen über die Neuen gegeben. Eva hoffte, dass es mit den beiden nicht solche Probleme gab. Noch hatte sie keine Ahnung, dass sie gleich auf zwei alte Bekannte treffen würde.


 

Teil 29

 

 

 

 

 

Nach kurzem Warten traten die beiden Neuen ein. Es war ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte dunkelbraune Haare und war hochgewachsen. Die Frau hingegen hatte kurze, blonde Haare. „Bitte setzen Sie sich“, deutete Eva auf die zwei Stühle vor ihrem Schreibtisch. „Wie heißen Sie denn? Es tut mir leid, aber ich habe noch keine Unterlagen von Ihnen“, war Eva die Situation etwas unangenehm. „Karin Hof“, stellte sich die Frau vor. „Nick Reuter“, kam auch von dem Mann. „Gut, ich werde mich mal nach Ihren Unterlagen erkundigen. Moment bitte.“ Eva war ins Vorzimmer getreten und befragte Mohr, nach den Unterlagen. Nick sah ihr nach. Evelyn Kaltenbach hatte ihm zwar gesagt, dass seine Vorgesetzte wohl Eva Baal hieß, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Eva, die war, mit der er mal vor etlichen Jahren in einem Keller war. Nick schüttelte den Gedanken ab. Erst mal wollte er sicher gehen, dass er die Stelle bekommt. Das andere würde sich dann später klären. Auch Katrin sah Eva hinterher. Das war die Eva, mit der sie studiert hatte und jetzt war die eiserne Lady, wie sie Eva früher immer nannten, ihre Vorgesetzte. Katrin freute sich auf die hoffentlich baldige Zusammenarbeit. „Aber die habe ich Ihnen doch auf den Schreibtisch gelegt, haben sie die nicht gesehen?“, hörten die beiden die Stimme der Sekretärin. Schon stand diese auch im Raum und lächelte den beiden zu. „Hier“, zeigte Möhrchen auf zwei Akten. „Danke, Sie können nun wieder an die Arbeit gehen“, kam von Eva.

 

Wieso haben Sie sich denn gerade hier beworben, Herr Reuter?“, wollte Eva von ihm wissen, als sie seine Akte überflogen hatte. Irgendwie kam Nick ihr bekannt vor, aber Eva wusste beim besten Willen nicht, woher. „Ich habe nach einer neuen Herausforderung gesucht und wollte schon immer mal nach Berlin. Na ja und dann hab ich JVA Reutlitz gelesen und dachte mir, dass ich mich hier mal bewerbe“, antwortete er. „Ihnen ist aber klar, dass hier ausschließlich Frauen einsitzen?“, wollte sie von ihm wissen, da sie sich nicht sicher war, ob ihm das klar war. „Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich habe es nicht auf die Frauen abgesehen, falls Sie das denken sollten. Ich möchte den Frauen helfen. Ihnen helfen, wenn sie rauskommen, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen“, versuchte er Eva von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. „Gut. Es gibt ja Probezeit und danach entscheiden wir, wie es weitergehen wird.“ Eva sah Nick eine Zeitlang an. Woher kannte sie ihn bloß? „Wo haben Sie denn vorher gearbeitet?“ Eva war sich bewusst, dass sie schlecht vorbereitet war, aber das sollte nun auch egal sein. „In Celle. Vielleicht kennen Sie das ja“, sah Nick sie abwartend an. Celle. Das kannte sie. Eva sah ihn noch genauer an. Jetzt wusste sie auch, woher sie ihn kannte. Eva arbeitete vor Jahren mit Nick in Celle zusammen. Celle und Nick. Er war der Erste, der erahnt hatte, dass irgendwas ganz Schlimmes in ihrer Kindheit passiert sein musste. Das Kellerloch. Da hatte sie sich damals verraten gehabt. „Ja, kenne ich. Ihre Einstellung ist gut. Auf eine gute Zusammenarbeit“, reichte sie ihm die Hand. Er nahm die Hand entgegen und schüttelte sie. „Warten Sie draußen bei Frau Mohr? Ich zeige Frau Hof und Ihnen dann das Gebäude“, bat Eva ihn, draußen zu warten. Nick erhob sich und ging ins Vorzimmer. Eva wusste, dass sie sich heute unprofessionell verhielt, aber sie versuchte das Beste draus zu machen.

 

Frau Hof, was hat Sie denn bewogen, hier anzufangen?“, stellte Eva dieselbe Frage wie an Nick. „Ich wollte endlich in eine Großstadt. Oldenburg war toll, aber nichts für die Ewigkeit“, gab Katrin zu. „Ich verstehe. Wie auch bei Herrn Reuter, gibt es erst mal eine Probezeit und dann sehen wir weiter“, kam von Eva. Irgendwie war heute nicht ihr Tag. Es war sonst nicht ihre Art, gleich zwei Bewerber in ihr Büro zulassen oder nicht informiert über die Bewerber zu sein. „Du hast dich kein bisschen verändert. Ich habe dich sofort wiedererkannt“, platzte es nun aus der blonden Frau heraus. „Was meinen Sie denn?“, war Eva total überfragt. „Mensch, Darling. Ich bin es, Karin. Wir haben zusammen studiert. Erinnerst du dich denn nicht?“, half sie Eva auf die Sprünge. Erst jetzt begriff sie, wen sie vor sich hatte.

 

Teil 30

 

 

 

Hallo, Eva. Erkennst du mich denn immer noch nicht?“, winkte sie mit ihren Händen vor ihrem Gesicht herum. „Ja, sicher erkenne ich dich. Aber lass uns erst mal beim Sie bleiben, sonst entstehen Gerüchte. Dann komm mal mit, ich zeige dir nun alles“, wollte Eva zur Tür. „Nun warte doch mal. Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“, war Karin irritiert. Eva ließ sich nicht hinter die Fassade schauen. „Doch, ich freu mich. Aber wir sind im Dienst“, ließ Eva sich auf kein Gespräch ein. Karin sah ihr verwundert nach. Eva hatte sich sowohl optisch als auch von ihrer Art her, nicht viel verändert. Sie nahm damals ihren Job schon sehr ernst. Karin erinnerte sich noch sehr gut daran, wie viel Überredungskunst es sie gekostet hatte, damit Eva etwas aus sich machte. Und jetzt trug sie eine dunkelblaue Schließerhose und eine hellblaue Bluse. Ob Eva in all den Jahren ihren Kleidungsstil bewahrt hatte? Das würde sie wohl erst sehen, wenn Eva Feierabend hatte. Auch Eva war nicht wohl bei der Sache, dass gleich zwei Bekannte von früher ihre Angestellten waren. Wenn sie jetzt aber zu Evelyn Kaltenbach geht und sagt, dass gleich beide nicht für diesen Job geeignet wären, müsste Eva handfeste Beweise liefern, warum das so ist. Es gab keine andere Lösung. Die beiden bekommen ihre Probezeit. Eva konnte nur hoffen, dass keiner der beiden sie jemals wieder auf die Vergangenheit anspricht. Das könnte sie nicht ertragen. Innerlich gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür. „Frau Mohr, ich bin für ca. eine halbe Stunde nicht im Büro. Wenn Anrufe sind, bitte notieren Sie die“, wandte sich Eva an die Sekretärin. „Natürlich“, nickte diese freundlich. „Bitte folgen Sie mir“, ging Eva einige Schritte voraus, gefolgt von Nick und Karin.

 

Eva spürte, wie angespannt sie war, als sie auf dem Weg zur Station war. Es machte ihr nichts aus, die Neuen vorzustellen. Aber sie kannte Walter und die hatte sicher wieder einen dummen Spruch auf Lager. Sonst machte ihr das nicht aus. Aber heute. Heute war das anders. Eva wusste allerdings nicht genau, warum. Hatte sie Angst davor, dass rauskommen könnte, wovor sie am meisten Angst hatte? Eva hatte sich für den Job vorgenommen, dass sie nie wieder ins Herz schauen lassen wollte. Aber genau davor hatte sie anscheinend Angst. Da musste sie jetzt durch. Wahrscheinlich machte sie sich Gedanken um Nichts. Fast vornehmend schritt sie über den Flur, bis sie an der Gitterschleuse zum Stehen kam. Langsam schloss Eva das Gitter auf und ging einen Schritt zur Seite, damit Karin und Nick durchgehen konnten, dann schloss sie wieder zu und öffnete die nächste Gittertür, die direkt auf den Stationsflur führte. Es war gerade Mittagspause und daher einige Insassinnen außerhalb ihrer Zellen.

 

Sieh mal, das müssen die Nachfolger von Kittler und Brock sein“, neigte Uschi ihren Kopf in die Richtung der Drei. „Alles nicht mein Geschmack. Aber der Typ…“, ließ Walter den Satz offen und schaute Uschi an. „Seit wann stehst du auf Kerle? Solange ich dich kenne, haben immer nur Frauen bei dir die erste Geige gespielt“, war Uschi baff von dieser Aussage. „Mensch, ich meine doch nicht mich damit. Sondern Jeanette. Findest du nicht auch, dass der Wilborn mal eine Ablösung verdient hätte?“, verfiel Walter in ein lautes Lachen. Auch Uschi stimmte mit ein. „Frau Walter, Frau König. Das ist aber schön, dass Sie sich vor den neuen Schließern von Ihrer besten Seite zeigen“, lobte Eva und lächelte ein bisschen sarkastisch. „Bitte? Sie kommen sich wohl sehr witzig vor“, verzog Walter ihre Miene. „Diese Entscheidung überlasse ich Ihnen. Das sind Frau Hof und Herr Reuter. Sie werden erst mal probeweise hier arbeiten“, informierte Eva die Insassinnen. Durch das Lachen von Walter und Uschi wurden einige neugierig und kamen näher. „Dann wäre ich aber froh an Ihrer Stelle. Frau Baal hat nicht immer so einen Charme wie heute“, ließ es Walter sich nicht nehmen, wieder eine Spitze zu verteilen. Alle um sie herum lachten. „Frau Walter!“, kam mahnend von Eva. „Ich kenne Frau Baal noch von früher“, gab Karin zu. „Ach so? War sie da auch schon so oder meinen Sie, dass Sie Frau Baal noch anders kennen?“, wollte Walter es genau wissen. „Ich versteh nicht ganz, was Sie meinen?“, war Karin überfragt. Einige Insassinnen lachten schon leise, da sie wussten, auf was ihr Boss anspielte. „Sind Sie vom gleichen Ufer?“ Eva verdrehte die Augen. Auch sie wusste, was gemeint war. Walter konnte es einfach nicht sein lassen. Eva bemerkte, dass Karin immer noch nichts mit Walters Frage anfangen konnte. „Frau Walter, es ist nicht jede Schließerin, die hier neu anfängt, lesbisch. Auch wenn das Ihr Wunsch ist“, bot Eva ihrem Schützling Kontra. Wieder lachten alle, außer Walter. „Danke!“, rief sie aus und verzog das Gesicht. „Wir werden schon miteinander auskommen, oder Frau Baal?“, kam nun von Nick. Er freute sich wirklich auf die Arbeit in Reutlitz. „Das will ich doch auch hoffen“, sagte Eva freundlich, verzog aber sofort wieder ihr Gesicht. Das konnte ja was werden, sagte Eva im Inneren zu sich selbst. Bei Nick konnte sie nie sicher sein, ob er nicht wieder etwas sagte, was sie an früher erinnerte. 

 

Teil 31

 

 

 

 

 

Einige Wochen waren vergangen, seitdem Nick Reuter und Karin Hof neu in Reutlitz angefangen hatten. Auch Birgit Schnoor ging wieder ihrer Arbeit nach. Nun hatte sie ja nichts mehr zu befürchten, dass so etwas wie vor ein paar Monaten, noch einmal passieren würde. Trotz allem wollte sie Eva noch einmal sprechen.

Schön, dass Sie wieder hier sind, Frau Schnoor. Nehmen Sie doch bitte Platz“, bot Eva ihr an. „Es freut mich auch, wieder hier zu sein. Ich muss gestehen, dass mir zu Hause manchmal schon die Decke auf den Kopf fiel“, lächelte Birgit. Sie sah viel gesünder aus, als wie vor wenigen Wochen noch. „Nun haben Sie ja wieder etwas zu tun. Wie Sie ja wissen, ist der Posten des Stationsleiter momentan verkannt“, begann Eva mit dem Gespräch. „Ist mir bekannt. Haben Sie denn schon jemanden im Auge, den Sie damit betrauen wollen?“, wollte Birgit wissen. „Habe ich, ja. Ich gebe Ihnen den Posten“, sagte Eva ohne Umschweife. „Mir? Aber ich bin doch erst seit Kurzem wieder hier“, konnte es die grauhaarige Schließerin gar nicht fassen. „Das hatte aber einen anderen Grund. Außerdem halte ich Sie sehr geeignet dafür“, lächelte Eva ein bisschen. „Ja, schon. Aber wieso nicht Frau Schiller oder Herrn Wilborn?“, wollte es Birgit genau wissen. „Ich möchte, dass Sie das machen. Ihnen vertrauen die Insassinnen. Und das halte ich für sehr wichtig“, ging Eva gar nicht auf die Frage ihrer Angestellten ein. Vertrauen. Das war etwas, was Eva schon vor langer Zeit abgelegt hatte. Oder hatte sie es überhaupt jemals gehabt? Nur damals, als sie mit Sabine Sanders diesen Autounfall hatte. Aber da wurde sie mehr genötigt, als dass sie es von sich aus sagte. Eigentlich, wenn Eva zu sich selbst ehrlich war, vertraute sie niemandem mehr. Zu oft wurde sie enttäuscht. Lieber vertraute sie sich keinem mehr an. „Frau Baal?“, wurde sie durch Birgits Stimme in die Realität zurückgeholt. „Ja?“, fragte sie leicht verunsichert. Hatte sie etwas nicht mitbekommen, während sie in Gedanken versunken war? „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Ich hoffe, dass ich Ihren Erwartungen gerecht werden kann“, kam freundlich von Birgit. „Sonst hätte ich Sie mit dem Posten nicht betraut gemacht“, lächelte Eva erneut etwas. Es klopfte an der Tür. „Herein“, kam sofort von Eva und Möhrchen trat ein. „Was gibt es denn, Frau Mohr?“, sah sie ihre Sekretärin an. „Telefon für Sie“, kam fast kleinlaut von der Frau. „Frau Schnoor, Sie können dann wieder gehen“, nickte Eva der Beamtin zu. Nachdem Birgit gegangen war, wandte sich Eva wieder Möhrchen zu. „Wieso stellen Sie dann nicht einfach durch, wie Sie es sonst machen?“ Eva schüttelte unmerklich den Kopf. Manchmal verstand sie das Verhalten von Sybille Mohr wirklich nicht. „Ich war mir nicht sicher, ob sie mit dieser Person sprechen wollen“, flüsterte Möhrchen fast. „Das ist wohl immer noch meine Sache“, war sie über ein paar Akten gebeugt, „wer ist es überhaupt?“, wurde sie nun doch neugierig. „Ihr Vater“, kam zur Antwort. Nun sah Werner Baals Tochter auf. „Mein Vater?“, fragte sie, als wenn sie es gehört hätte. „Ja, er möchte mit Ihnen sprechen. Aber ich wollte erst Sie fragen, ob ich durchstellen soll“, stand Möhrchen noch immer im Türrahmen. „Stellen Sie bitte durch“, verlangte Eva. „Einen Moment.“ Sybille Mohr drehte sich um und schloss von außen die Bürotür.

 

Eva starrte an die gegenüberliegende Wand. Was wollte ihr Vater plötzlich wieder von ihr. Für eine Entschuldigung von seiner Seite war es definitiv zu spät. Außerdem hatte er sich damals schon vor Gericht bei ihr entschuldigt. Ihr fiel absolut kein Grund ein, was ihr Vater von ihr wollte. Für seine Entlassung war es zu früh. Seine Verurteilung lag gerade mal ein bisschen mehr als 3 Jahre zurück. Als das Telefon klingelte, überlegte Eva, ob sie abnehmen sollte. 

 

Teil 32

 

 

 

 

Eva entschloss sich doch, abzuheben. Was hatte sie denn großartig zu verlieren? Werner saß im Gefängnis und sie wusste nun, dass ihr Vater auch nicht immer der Unschuldige war, für den er sich immer ausgegeben hatte. „JVA Reutlitz, Baal“, sprach sie kurz danach in den Hörer, auch wenn sie wusste, wer am anderen Ende war. „Eva, schön deine Stimme zu hören. Wie geht es dir?“ Eva zuckte kurz zusammen. Es war doch merkwürdig, die Stimme ihres Vaters zu hören. Warum er wohl anrief? Grundlos war dieser Anruf mit Sicherheit nicht. Sonst hätte sich Werner schon viel eher melden können. Irgendetwas steckte dahinter. „Vater…“, konnte sie nur sagen. Eva war immer noch völlig schockiert. Nicht unbedingt, dass ihr Vater sie anrief. Sondern eher, dass er sie fragte, wie es ihr ginge. „Ich habe dich gefragt, wie es dir geht“, dröhnte durch den Hörer. „Ganz gut. Aus welchem Grund rufst du hier an?“ Evas Stimme hatte einen unterkühlten Tonfall. „Ich möchte einfach wieder mal mit dir sprechen. Hast du viel zu arbeiten?“, fragte Werner. „Ja, hab ich. Deswegen muss ich jetzt auch auflegen“, ließ es Eva gar nicht zu einem Gespräch kommen. „Eva, warte“, konnte sie die Stimme von ihrem Vater hören, als sie bereits auflegen wollte. „Was denn noch?“ Ein kurzes Schweigen entstand. Was hatte das denn wieder zu bedeuten? Erst sollte sie warten und dann… dann sagte er nichts mehr. „Kannst du mich besuchen?“, kam dann bittend von Werner. Eva erstarrte erneut. Er verlangte von ihr, dass sie ihn besuchen sollte? „Wieso?“, fragte Eva. „Ich möchte mit dir sprechen. Bitte.“ Wieder fragte sich Eva nach dem Warum. „Ich weiß nicht. Hab viel zu tun.“ Irgendwie stimmte das ja auch. Eva musste ja erst mal abwarten, wie sich Nick und Karin so machten und Birgit war erst seit Kurzem wieder da. Gut, da gab es noch Jutta. Suchte Eva förmlich nach einer Ausrede, um Werner nicht unter die Augen treten zu müssen? „Du kannst dir sicher einen Tag frei nehmen, oder?“, kam auch prompt von ihrem Vater. Eva fühlte sich, als wäre sie eingeengt. Sie kannte ihren Vater. Er würde immer und immer wieder bei ihr anrufen. Aber so einfach konnte sie ihrem Vater nicht unter die Augen treten. „Ich gucke mal, was sich machen lässt.“ Sie konnte ein leichtes Seufzen hören. „Soll ich dich in zwei Tagen noch einmal anrufen?“, kam fast verzweifelnd aus dem Hörer. „Ja, ich denke, dass ich dir dann etwas Genaueres sagen“, bestätigte sie. „Gut. Mach’s gut, Eva.“ Nach einer kurzen Wartezeit, nahm Eva ein Klicken in der Leitung wahr. Werner hatte das Gespräch beendet.

Was sollte sie jetzt bloß tun? Eva interessierte es schon, was ihr Vater von ihr wollte. Allerdings hatte sie auch Angst, vor dem Zusammentreffen mit ihm. Wieso musste auch immer alles zusammenkommen? Es war gerade mal ein paar Wochen her, dass Evas Angestellte verurteilt wurden. Peter Kittler kam noch einmal mit einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten davon. Eva hatte gedacht, dass sie nun durchatmen könnte. Jetzt kam das mit ihrem Vater. Im Moment hatte sie es wirklich nicht leicht. „Baal für Hof“, ertönte plötzlich aus ihrem Walki. Kam nun der nächste Knall? „Baal hört?“, funkte sie zurück. „Es gibt Streit auf der Station. Könnten Sie dazukommen?“ Eva verdrehte die Augen. Konnte sie nicht einmal Zeit für sich haben? Und so riesig konnte der Streit nicht sein. Trotzdem entschloss sie sich dazu, mal nach dem Rechten zu sehen. Außerdem lenkte sie das von der Sache mit ihrem Vater ab.

 

 

Ich bin auf Station B“, sagte Eva zu Mohr und verließ den Raum. Auf dem Weg dahin musste sie wieder und wieder an das Telefonat mit Werner denken. Irgendwie hatte er traurig geklungen. Vielleicht will er Eva tatsächlich etwas Wichtiges sagen. Wenn dem nicht so wäre, könnte sie ja immer noch gehen und ihren Vater dann nie wieder im Gefängnis besuchen. Eva hatte einen Entschluss gefasst. Sie würde ihren Vater besuchen. Danach straffte sie die Schultern und ging den langen Flur entlang. 

 

Teil 33

 

 

 

Was ist hier los?“, stand sie plötzlich neben Karin. Diese zuckte kurz zusammen. „Es gab Streit zwischen Frau Bergdorfer und Frau Wünsche“, schilderte Karin die Situation. „Worum ging es denn diesmal? Wieder um einen Stofffetzen oder sonstige Kleinigkeiten?“, kam zynisch von Eva. Sie war lange in Reutlitz beschäftigt und kannte mittlerweile die Streitthemen der beiden älteren Damen. Noch immer konnte sie nicht nachvollziehen, wie man sich bei solchen Dingen derartig in die Haare bekommen konnte, wie diese beiden Insassinnen. „Frau Baal, das war nicht so, wie Frau Hof das vermutet hatte“, kam stotternd von Ilse. Sie wusste, dass Eva für solche Dinge keine Zeit hatte oder eben haben wollte. „Haben Sie sich wieder vertragen?“ Sie musterte Jeanette und Ilse genau. „Ja, haben wir“, nickte Ilse schnell. Sie packte ihre Mitinsassin am Arm und zog sie mit sich. „Ilse! Lass mich sofort los! Ich kann allein laufen!“, kreischte Jeanette. Sie mochte es nicht, wenn man sie wie eine alte Frau behandelte. Eva schüttelte darüber nur den Kopf. Die beiden würden sich auf ihre alten Tage auch nicht mehr ändern. „Wenn sich die beiden streiten, müssen Sie mich nicht extra rufen. Das wird noch öfters so kommen“, wandte sich Eva an die Schließerin. „Entschuldigung. Es wird nicht wieder vorkommen“, kam kleinlaut von dieser. Diesmal erschreckte Eva innerlich. Karin, die sich früher immer gern Caren nannte, hatte sich verändert. Als sie die beiden kennen gelernt hatten, war Karin vorlaut und ließ sich nichts bieten. Aber jetzt. Sie stand verschüchtert vor Eva. Für einen Moment überlegte Eva, ob es an ihr lag, dass ihre frühere Zimmergenossin so verschüchtert war. Aber sie war nun mal die Leiterin dieser Anstalt und konnte sich nicht alles bieten lassen. „Merken Sie es sich einfach fürs nächste Mal. Gibt es sonst noch Probleme?“ Eva fragte dies aus taktischen Gründen. Sie wollte einfach nicht jede halbe Stunde auf Station kommen müssen. Immerhin gab es auch noch andere Dinge für sie zu tun. „Na ja…“, begann Karin, „ich glaube, Frau Walter hat sich eine ziemlich starke Erkältung eingefangen“, setzte sie Eva in Kenntnis. „Sie glauben?“, sah Eva sie verwundert an. „Ja, also. Sie hustet ziemlich schlimm. Vielleicht sollten wir sie zum Arzt schicken“, schlug Karin vor. „Nun mal langsam. Wo ist sie denn?“, wollte Eva nicht die Pferde scheu machen. „Im Gruppenraum“, kam von Karin. „Kommen Sie“, ging Eva voraus in Richtung Gruppenraum.

 

Dort angekommen, sahen sie Walter rauchend an einem Tisch sitzen. „Meinen Sie, dass Rauchen bei Ihrer Erkältung gut ist?“, sprach Eva die Insassin an. „Wer ist denn erkältet?“, kam von Walter. „Frau Hof hat mir gesagt, dass Sie ziemlich schlimm husten.“ Abwartend sah Eva sie an. „Blödsinn. Ihr Schlusen bildet euch immer Dinge ein, die gar nicht da sind.“ Walter wollte anfangen zu lachen, doch verfiel eher in ein lautstarkes Husten. „Das habe ich mir jetzt aber nicht eingebildet. Kommen Sie bitte mit“, befahl Eva. „Wozu? Ich komme nicht mit. Vergessen sie es!“, sträubte sich Walter. „Ich diskutiere nicht mit Ihnen rum. Sie kommen jetzt mit“, blieb Eva hart. Sie ließ sich doch nicht von den Gefangenen auf der Nase herum tanzen. Mit strenger Miene ging sie voraus. Als sie merkte, dass Walter ihr nicht folgte, blieb sie stehen und drehte sich zu ihr um. „Frau Walter, würden Sie sich bitte erheben? Oder wollen Sie riskieren, dass Sie noch eine Lungenentzündung bekommen?“ „Ich komme ja schon“, verdrehte sie die Augen, hustete noch mal und ging schließlich mit. Karin war von Evas Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen verblüfft.

 

Wie war das denn nun mit der Hof?“, war Walter nach wie vor neugierig, was Eva mit Karin verband. „Wie soll das sein?“, tat Eva so, als wenn sie nicht wüsste, worum es ging. „Lief da mal was?“, fragte sie nun direkt. „Ich werde mich mit Ihnen darüber nicht unterhalten“, war die Antwort. „Schon gut. Ich werde mir meinen Teil denken“, hob Walter abwehrend die Hände. Eva war härter als Granit.

 

Dr. Saalbach? Ich bringe Ihnen Frau Walter“, kam von Eva, nachdem der Arzt die Tür geöffnet hatte. „Was fehlt Ihnen denn?“, wollte dieser von ihr wissen. „Gar nichts“, versuchte sie ihr Husten zu unterdrücken. „Frau Walter hat Husten. Ich vermute, dass Sie eine starke Erkältung hat“, gab Eva Auskunft. „Gut. Dann gehen Sie schon mal rein und husten Sie sich erst mal aus“, machte Saalbach den Weg zum Behandlungszimmer frei. Nachdem Walter im Zimmer verschwunden war, schloss er die Tür und betrachtete Eva genauer. Ihm war eben schon aufgefallen, dass seine Vorgesetzte abgespannt aussah. „Frau Baal, ist alles in Ordnung?“, sah er sie eindringlich an. „Natürlich. Was soll denn nicht in Ordnung sein?“ Sie musterte ihn genau. „Sie sehen abgespannt aus“, kam von ihm, seine Miene war besorgt. „Kümmern Sie sich lieber um Frau Walter. Bei mir ist alles in Ordnung“, sagte sie. „Wie Sie meinen. Ich gebe Ihnen dann Bescheid, wenn ich Frau Walter untersucht habe.“ „Machen Sie das. Schönen Tag noch.“ Danach machte sich Eva auf den Rückweg zu ihrem Büro. Dennoch gingen ihr die Worte des Arztes nicht aus dem Kopf. Sah man ihr wirklich so sehr an, dass sie erschöpft war? Sie konnte sich momentan keine Schwäche erlauben. Mit diesen Gedanken ging Eva in die Verwaltung.

 

Teil 34

 

 

Da sind Sie ja wieder“, kam von Möhrchen, als Eva das Vorzimmer zu ihrem Büro betrat. „Gab es denn Probleme?“, kam verwundert von Eva. So lange war sie nun auch wieder nicht weg. „Nein, nein. War auf Station irgendwas Besonderes?“, fragte die Sekretärin. „Nein. Ich möchte erst mal nicht gestört werden. Sollte aber Dr. Saalbach kommen, schicken Sie ihn bitte rein“, kam vom Eva. „Mach ich, Frau Baal“, lächelte Möhrchen freundlich.

 

Eva ließ sich in ihren Bürostuhl fallen und schloss für einen Moment die Augen. Sie fühlte sich tatsächlich etwas ausgelaugt. Der Prozess um Brock und Kittler, zerrte ganz schön an den Nerven. Und jetzt kam das auch noch mit ihrem Vater. Eva öffnete ihre Augen wieder. Sie hatte sich zwar vorgenommen, ihn im Gefängnis zu besuchen. Aber seitdem sie das Gespräch mit Saalbach hatte, war sie sich nicht ganz sicher, ob sie ihre Entscheidung beibehalten sollte. Vielleicht – so dachte Eva – würde ihr der Besuch bei Werner noch den letzten Rest geben. Allerdings wenn sie ihn nicht besuchen würde… Eva verwarf den Gedanken. Werner wollte erst in zwei Tagen wieder anrufen. Solange hatte sie also noch Bedenkzeit. Sie setzte sich aufrecht hin und durchblätterte ein paar Akten. Seit dem Prozess war einiges liegengeblieben.

 

Währenddessen hatte Dr. Saalbach Walter gründlich untersucht. „Sie können sich wieder anziehen“, kam von ihm. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und machte ein paar Notizen. „Und, was fehlt mir?“, hatte sich auch Walter gesetzt. „Nun. Ich würde Sie gern ein paar Tage auf der Krankenstation behalten“, eröffnete er der Insassin. „Wegen dem bisschen Husten?“, kam verständnislos von Walter. „Haben Sie denn Schmerzen?“, wollte der Arzt wissen. „Quatsch! Sicher tun mir die Bronchien weh beim Husten. Aber das ist wohl normal, wenn man erkältet ist“ nahm Walter das auf die leichte Schulter. „Ich möchte trotzdem auf Nummer sicher gehen. Ich sage der Schwester Bescheid, dass sie Ihnen ein Bett fertig machen soll“, erhob sich Saalbach. „Von mir aus. Aber Doc, es ist wirklich nicht so schlimm.“ Sie versuchte das Husten zu unterdrücken. „Husten Sie lieber richtig ab. So verschlimmern Sie das Ganze nur“, riet ihr der Arzt und verließ das Krankenzimmer.

 

Frau Hof, wissen Sie, wo Walter ist?“, lief Uschi auf Karin zu. Sie hatte Walter schon überall gesucht, konnte sie aber irgendwo finden. „Sie wurde vorhin von Frau Baal auf die Krankenstation gebracht“, informierte Karin. „Krankenstation?“, kam Uschi nicht ganz mit. „Frau Walter ist stark erkältet. Frau Baal hielt es für besser, wenn sie sich mal untersuchen lässt“, kam von der Schließerin. „Danke. Kann ich Sie denn besuchen?“, wollte Uschi wissen. „Wir warten erst mal ab, ob Dr. Saalbach sie überhaupt auf der Krankenstation behält. Ich sagen Ihnen dann Bescheid.“ Danach wandte sich Karin ab und ging ins Aquarium.

 

Noch immer war Eva über den Akten gebeugt. Richtig konzentrieren konnte sie sich allerdings nicht. Immer wieder schweifte sie mit ihren Gedanken ab. Im Moment hatte sie es wirklich nicht leicht. Sie hatte das Gefühl, dass ihr die ganze Arbeit zu sehr zu Kopf stieg. Wieso musste auch immer alles auf einmal kommen? Wieder geriet Eva ins Wanken, als sie an ihren Vater dachte. Ob es wirklich gut war, dass sie ihn besuchen wollte? Sie schüttelte die Gedanken ab. Sie hatte sich dazu entschlossen, ihn zu besuchen, also wird sie das jetzt auch durchziehen. Eva klappte die fertige Akte zu und griff zum Telefon, da klopfte es an der Tür. Genervt legte sie den Hörer wieder auf und rief „Herein!“ Die Tür öffnete sich und Dr. Saalbach trat ein. „Ich hoffe, ich störe nicht“, hatte er ein ungutes Gefühl. „Nein. Ich hatte Sie bereits erwartet. Was ist nun mit Frau Walter?“, sah Eva dem Arzt abwartend in die Augen. „Ich behalte sie erst mal auf der Krankenstation“, kam von ihm. „Doch so schlimm?“, war Eva nun doch verwundert. Walter hatte zwar Husten, aber dass sie gleich auf der Krankenstation bleiben sollte, damit hatte sie nun nicht gerechnet. „Na ja. Ich habe doch etwas Bedenken wegen ihrem Husten. Außerdem sagte sie, dass ihr die Bronchien weh tun. Wenn es schlimmer wird, möchte ich sofort handeln können“, schilderte der Mann. Eva war schon wieder mit ihren Gedanken abgeschweift. „Frau Baal, haben Sie gehört, was ich Ihnen eben gesagt habe?“, fragte Saalbach nach. „Ja. Ja, dann wäre es besser, wenn Sie Frau Walter erst mal auf der Krankenstation behalten.“ Der Arzt nickte. Eva wirkte seltsam nachdenklich auf ihn. Aber er sagte nichts. Bringen würde es sowieso nichts. „Dann werde ich noch mal nach ihr sehen“, sagte er stattdessen. „Machen Sie das. Schönen Feierabend dann“, wünschte Eva. Saalbach verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

 

Nach einiger Zeit machte auch Eva Schluss für diesen Tag. Sie ließ sich nicht mehr beirren. Sie würde ihren Vater besuchen und sich ihm stellen….

 

Teil 35

 

 

 

 

Zwei Tage später saß Eva wieder in ihrem Büro und tippte etwas auf ihrem Laptop, als es wieder an der Tür klopfte. „Herein“, sagte sie und klappte den Deckel runter. „Frau König möchte Sie gern etwas fragen“, war die Tür von David Wilborn geöffnet. „Soll reinkommen. Ich rufe Sie dann wieder“, nickte sie dem Beamten zu.

 

Was kann ich für Sie tun?“ Eva hatte ihre Hände gefaltet. „Ich habe von Frau Hof erfahren, dass Walter auf der Krankenstation liegt“, sagte Uschi. Das Gespräch verlief distanziert. Uschi hatte bis heute nicht vergessen, dass Jule sich damals wegen Eva aufgehängt hatte. Das würde sie ihr niemals verzeihen und dies wusste Eva. „Das ist richtig“, kam von der Anstaltsleiterin. Sie antwortete nur auf die Fragen, die ihr gestellt wurden. „Steht es so schlecht um Walter?“, fragte die Insassin weiter. Walter hatte schon seit ein paar Tagen grausamen Husten und Uschi hatte ihr nahegelegt, das Rauchen einzuschränken. Ihre Mitinsassin lächelte nur darüber und rauchte weiter. Uschi musste sich eingestehen, dass sie sich jetzt doch ein paar Gedanken machte. Sie geriet mit Walter zwar manchmal in Streit, aber eigentlich waren sie doch so etwas wie Freunde geworden. „Dr. Saalbach möchte nur sicher gehen, falls ihr Husten schlimmer wird“, kam eher abwesend von Eva. Heute würde Werner anrufen und fragen, wie ihre Entscheidung, ihn im Gefängnis zu besuchen, ausgefallen ist. „Kann ich sie denn besuchen?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. Es wunderte sie, dass Eva doch so auskunftsfreudig war. Normalerweise hätte sie gar nicht auf so eine Frage geantwortet oder hätte zumindest eine andere Wortwahl benutzt. „Da müssen Sie Dr. Saalbach fragen.“ Jetzt wunderte sich Uschi noch mehr. Wieso sollte sie den Arzt fragen? Die Entscheidungsgewalt hatte doch eigentlich Eva. „Sie stimmen dem Besuch also zu?“, sah Uschi Eva misstrauisch an. Diese blickte aus dem Fenster. „Frau Baal?“ Sofort wandte sich Eva ihrer Gesprächspartnerin wieder zu. „Natürlich. Besuchen Sie sie nur“, sagte Eva ungewöhnlich langsam. „Danke, dann werde gleich mal Herrn Wilborn fragen, ob er mich auf die Krankenstation bringt“, hatte Uschi sich erhoben. „Gut. Dann können Sie jetzt wieder gehen“, kam von Eva.

 

Unkonzentriert saß Eva vor ihrem Laptop und schielte immer wieder zum Telefon. Werner hatte keine Zeit gesagt, wann er anrufen würde. Dadurch verstärkte sich Evas Ungeduld nur noch mehr. Nach einigen Minuten klingelte es endlich. Möhrchen musste sofort durchgestellt haben, eine Direktwahl hatte ihr Vater nicht gehabt.

Baal, JVA Reutlitz“, meldete sie sich wie gewöhnlich. „Eva, ich’s bin“, war es tatsächlich Werner. „Vater. Schön, dass du anrufst“, sagte Eva. Diesmal freute sie es wirklich, dass er anrief. „Hast du dich entschieden?“ In seiner Stimme lag ein Klang von Hoffnung. „Habe ich, ja. Ich komme dich besuchen“, sagte sie. Innerlich atmete sie tief aus. Sie hatte es wirklich ausgesprochen. „Danke, Eva. Wann kann ich denn mit dir rechnen?“ Werner war erleichtert, dass seine Tochter seine Bitte nicht abschlug. „In einer Stunde bin ich da. Bis dann“, legte sie dann schnell auf. Die erste Hürde hatte sie schon mal geschafft. Als sie vorgestern ihre Entscheidung getroffen hatte, rief sie gleich in dem Gefängnis an, wo Werner einsaß und hatte einen Termin vereinbart. Eva speicherte die Datei ab, klappte ihren Laptop zu und schloss ihn im Tresor ein.

 

Gut, dass Sie schon da sind, Frau Adler“, blickte Eva ihre Stellvertreterin an. „Guten Morgen, Frau Baal. Ich komme eigentlich immer pünktlich zu meinem Dienst“, kam von Jutta. „Ich habe einen dringenden Außentermin“, erklärte Eva, während sie sich ihren Mantel anzog. „Jetzt gleich?“, wunderte sich Jutta Adler. Eigentlich plante Eva doch immer im Voraus und nun hatte sie es so eilig? „Der Termin ließ sich nicht verschieben. Ich verlasse mich auf Sie.“ Mit diesen Worten war sie gegangen. „Was ist denn mit Frau Baal los? Sie ist doch sonst nicht so“, wandte sich die ehemalige Anstaltleiterin an Möhrchen. „Sie ist schon seit ein paar Tagen so komisch. Vielleicht hat das was mit ihrem Vater zu tun“, zuckte die Sekretärin mit den Schultern. Jutta Adler zog die Augenbrauen hoch und verschwand dann im Büro.

 

Eva kam der Weg unendlich lang vor. Dabei war es gerade mal eine Viertelstunde Fußweg. Immer wieder schossen ihr Gedanken in den Kopf, die sie versuchte, wegzuwischen. Nach weiteren Minuten war sie am Gefängnistor angekommen. Sie musste ihre Tasche und ihren Ausweis vorzeigen.

 

Als sie im Besucherraum saß, spielte sie mit ihren Fingern herum, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war. Ihr Kopf drehte sich blitzschnell zur Tür, als diese sich öffnete. „Hallo, Eva. Schön, dass du so schnell kommen konntest“, sagte Werner zu ihr, nachdem er sich gesetzt hatte. Eva erschreckte sich. Ihr Vater sah blass und abgemagert aus. Intensiv sah sie ihm in die Augen…. 

 

Teil 36

 

 

Vater…“, brachte Eva nur hervor. „Du siehst gut aus. Aber öffne doch deine Haare“, forderte Werner sie auf. Eva wurde an die Vergangenheit erinnert. Als Werner in Reutlitz auftauchte, verlangte er das auch von ihr. „Beim nächsten Mal“, sagte sie und hoffte, dass ihr Vater sich damit zufrieden gab. „Gut. Kommt dein Reutlitz denn auch ohne dich zurecht?“, wollte er wissen. Evas Blick erstarrte. War es jetzt ein Lob? Oder eher eine zynische Bemerkung? „Wie meinst du das?“, sah sie ihn fragend an. „Du hast mich all die Jahre nicht besucht. Und jetzt, nachdem ich anrief, klappt das ohne Weiteres“, machte Werner seiner Tochter Vorwürfe. „Ich hatte meine Gründe“, sagte Eva mit fester Stimme. Was verlangte Werner da von ihr? Glaubte er tatsächlich, dass Eva all dem, was vorgefallen war, keine Bedeutung schenkte? „Eva, ich bin immer noch dein Vater!“, erhob er seine Stimme und bekam daraufhin mahnende Blicke des Beamten. „Ja, das bist du. Aber ich habe nicht vergessen, was du alles getan hast“, vertrat sie ihre Meinung. „Das ist Jahre her. Kannst du das nicht ruhen lassen? Ich habe doch dann gestanden“, wurde er wieder ruhigen. „Glaubst du das wirklich, dass ich das vergessen kann, Vater?“ Mit Tränen in den Augen sah Eva ihm in die Augen. „Du hast erst dann gestanden, als ich verurteilt werden sollte, für etwas, was du getan hast“, fuhr sie fort. „Das mit Martin Pohl war ein Unfall“, wollte er sich verteidigen. „Du hast Kerstin Herzog, die du immer mehr geschätzt hast als mich, für deine Tat büßen lassen und Hildegard Lutz? War das auch ein Unfall?“, sah sie ihn herausfordernd an. In ihr stieg die Wut. Werner hatte scheinbar bis heute noch keine Einsicht gezeigt. „Das wollte ich nicht. Ich wollte nur nicht, dass sie gegen mich aussagt. Glaub mir, Eva. Ich bin doch kein Mörder!“, rief er hilflos. Eva schüttelte kaum sichtbar den Kopf. „Dass du nicht wolltest, dass sie gegen dich aussagt, glaub ich dir sogar. Aber wieso musstest du sie gleich umbringen und dann auch noch zusehen, wie ich immer wieder meine Unschuld beteuert habe und niemand mir glaubte?“ In Evas Augen war ihr Vater kein Vorbild mehr für sie. „Es ging um viel.“ „Um was ging es denn? Deinen Ruf? Der war doch schon kaputt!“ Langsam konnte Eva die Nähe zu ihrem Vater nicht mehr ertragen. Dieser Mann, ihr Vater, war so uneinsichtig und selbstliebend. „Ich war immer ein Vorbild für dich“, versuchte Werner nun, seine Tochter mit Kindheitserinnerungen milde zu stimmen. „Ja, das warst du. Aber jetzt nicht mehr. Ich habe lange überlegt, ob ich herkommen sollte. Ich dachte, dass du mir was Wichtiges zu sagen hast. Aber da habe ich mich wohl getäuscht“, stand sie auf und wollte gehen. „Warte“, legte Werner seine Hände auf ihr. Eva sah ihn lange an, setzte sich dann wieder. „Was hast du mir zu sagen?“, wollte sie wissen. „Du musst mir helfen“, hatte er sich zu ihr über den Tisch gebeugt und flüsterte nun. Eva sagte kein Wort. „Ich muss hier aus!“ Eva ließ sich zurück in den Stuhl fallen. Hatte sie das gerade richtig verstanden? Sie sollte ihrem Vater beim Fliehen helfen? Wie stellte er sich das denn vor?

 

Währenddessen wurde Uschi von David Wilborn auf die Krankenstation gebracht. Saalbach hatte ihr - nach langem bitten von Uschi - erlaubt, Walter kurz zu besuchen. „Fünf Minuten, Frau König“, sagte David zu ihr und öffnete dann die Tür. Nachdem Uschi eingetreten war, schloss er sie wieder und wartete draußen.

Was machst du denn für Sachen?“, fragte sie Walter und setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. „Der Doc übertreibt“, tat sie harmlos. Uschi merkte aber, dass es Walter gar nicht so gut ging. „Wie lange musst du denn noch auf der Krankenstation bleiben?“, wollte Uschi wissen. „Wohl noch eine Woche. Saalbach will warten, bis der Husten abgeklungen ist“, verdrehte sie die Augen. „Das ist auch besser so. Kurier dich erst mal aus.“ „Sag mal, was machst du überhaupt hier?“, wunderte sich Walter über den Besuch. „Ich war heute bei der Baal“, erklärte Uschi. „Und die hat das erlaubt?“, wollte Walter wissen, bekam dann gleich wieder einen Hustenanfall. „Sie hat gesagt, dass ich Saalbach fragen soll. Aber ja, sie gab ihre Erlaubnis“, sagte Uschi. „Was ist denn mit der los? Die ist doch sonst nicht so“, konnte Walter Evas Reaktion gar nicht verstehen. „Keine Ahnung. Die war heute auch irgendwie abwesend“, kam von Uschi. „Mhh.. wer weiß, was sie hat“, zuckte Walter mit den Schultern.

 

Eva, nun sag doch was“, wartete Werner noch immer auf eine Antwort. Eva sah abwesend aus. Sie schien zu überlegen, was sie tun sollte. „Es tut mir leid, Vater“, erhob sie sich. „Was soll das heißen?“, riss Werner seine Augen auf. „Ich kann und will dir auch nicht helfen. Bitte akzeptiere meine Entscheidung. Leb wohl“, sagte sie und wandte sich zum Gehen. „Eva! Das kannst du nicht machen! Eva!“, rief er ihr nach. Eva hörte ihn noch, ging aber weiter. Als sie an der Tür war, wurde ihr geöffnet und sie schritt hinaus mit dem Gedanken, dass sie ihren Vater nicht wieder sehen wird.

 

Teil 37

 

 

Ich geh jetzt wieder. Erhol dich noch gut“, erhob sich Uschi. „In drei Tagen bin ich wieder fit. Aber sag mal, ist dir auch so warm wie mir?“, wollte Walter wissen, bevor sie Uschi entließ. „Nein, ich finde es angenehm.“ Sie berührte Walters Stirn. „Du glühst. Ich sag Saalbach Bescheid“, sagte die grauhaarige Insassin und ging zur Tür und klopfte.

 

Evas Gedanken schwirrten in ihrem Kopf umher. Wie konnte Werner nur so etwas von ihr verlangen? Fluchthilfe! Sie war dafür zuständig, so was zu verhindern und jetzt sollte sie ihrem Vater dabei helfen? Es hämmerte in ihrem Kopf. Eva konnte und wollte das auch nicht. Er musste seine Strafe absitzen. Ob sie ihn wirklich nie wieder sehen würde? Eva überlegte. In einem hatte er ja Recht: Er war immer noch ihr Vater und das würde sich auch nicht ändern. Aber es war in all den Jahren so viel passiert und Werner glaubte, dass sie das vergessen hatte? Sie schüttelte den Kopf. Das wird sie niemals vergessen können. Zu tief war es in ihre Seele eingebrannt. Es wird immer Situationen geben, die sie an ihre Vergangenheit erinnern werden. Sie erinnerte sich, als ihr Vater sie in den Keller gesperrte hatte und das Lichte abdrehte. Tränen stiegen in ihr auf. Werner hatte sie nie geliebt. Sie straffte die Schultern, wischte sich die Tränen weg und ging weiter. Sie würde nicht wegen ihrem Vater heulen. Eva nahm sich vor, nicht mehr an Werner zu denken. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Rückweg nach Reutlitz. Dort wurde sie schließlich gebraucht. Auf ihrem Gesicht wurde ein leichtes Lächeln sichtbar.

 

Frau Walter, wie fühlen Sie sich?“, kam Saalbach in das Krankenzimmer. „Ich fühle mich super“, sagte sie zwischen dem Husten. „Frau König sagte mir, dass Sie Fieber hätten“, war er an ihr Bett getreten und schob ihr das Thermometer unter den Arm. „Uschi muss sich geirrt haben. Ich habe kein Fieber“, winkte Walter ab. „Sie haben Fieber“, bestätigte er Uschis Verdacht, als er auf die angezeigte Temperatur sah. „Ich habe nur Husten. Haben Sie doch selbst gesagt“, war Walter genervt. „Setzen Sie sich bitte auf. Ich möchte Sie abhören.“ Sie setzte sich auf. „Atmen Sie mal tief ein und wieder aus“, verlangte er von der Insassin. Walter überkam ein starkes Husten. „Ihre Erkältung hat sich zu einer Bronchitis entwickelt. „Na toll und jetzt?“, ließ sich Walter zurück ins Kissen fallen. „Ich werde der Schwester sagen, dass sie Ihnen einen Brustwickel machen soll und eine Decke bekommen Sie auch noch“, sagte Saalbach. „Einen Brustwickel und noch eine Decke? Für was denn das?“, wunderte sich Walter. „Der Brustwickel dient zur Erholung, damit Ihr Husten gestillt wird und die Decke dient zum Schwitzen“, erklärte er. Walter verdrehte die Augen.

 

Frau Baal, Sie sind ja schon wieder da“, wunderte sich Möhrchen, dass Eva schon wieder von ihrem Termin zurück war. „Es ging schneller, als erwartet. Ist Frau Adler im Büro?“, wollte Eva wissen. „Nein, sie ist auf Station“, informierte die Sekretärin. Eva nickte. „Bedrückt Sie irgendwas?“ Seit Eva zurück war, war sie seltsam. „Nein, was sollte mich denn bedrücken?“, wollte Eva wissen. „Na ja, Sie wirken so niedergeschlagen. Ist irgendwas mit Ihrem Vater?“, sah Möhrchen sie mit mitleidiger Miene an. Eva schwieg einen Moment. „Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, Frau Mohr!“ Eva sah die Sekretärin strafend an, dann ging sie ins Büro.

War es ihr wirklich so stark anzusehen, dass sie die Sache mit ihrem Vater bedrückte? Eva kam ins Grübeln. War ihre Entscheidung richtig? Sollte sie ihm nicht doch helfen? Schnell verwarf sie diesen Gedanken. Werner hatte seine Strafe verdient. Wenn sie bei der Flucht erwischt worden wären, würde er seiner Tochter sowieso Vorwürfe machen.

JVA Reutlitz, Baal?“, nahm sie den Telefonhörer ab. „Dr. Linderbach.“ „Sind Sie die Tochter von Werner Baal?“, meldete sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, die bin ich. Wieso wollen Sie das denn wissen?“, kam verwundert von Eva. „Ihr Vater liegt bei uns. Er hatte einen schweren Herzinfarkt“, kam wieder von der Männerstimme. „Einen Herzinfarkt?“, wiederholte Eva. Sie konnte es nicht fassen. Der Gedanke, dass sie der Auslöser dafür war, machte sich in ihr breit.

 

Teil 38

 

 

 

Frau Baal? Sind Sie noch dran?“, kam es wieder aus dem Hörer. „Ja, ich bin noch dran. Was hat denn den Herzinfarkt ausgelöst?“, wollte Eva wissen. „Das Herz Ihres Vaters war schon vorher geschädigt. Einen genauen Auslöser kann man nicht benennen. Es hätte zu jeder Zeit passieren können“, erklärte der Arzt. „Schwebt er denn ins Lebensgefahr?“, überkam Eva die Panik. Auch wenn der Arzt sagte, dass man den genauen Auslöser nicht benennen konnte, wusste sie, dass sie dafür die Verantwortung trug. „Sein Zustand ist stabil. Allerdings könnte ihn jede Aufregung zurückwerfen.“ Eva durchfuhr ein Zucken. Das würde bedeuten, wenn sie im Krankenhaus auftauchen würde, könnte es sein, dass er sich aufregte. Dennoch fragte sie: „Kann man ihn denn besuchen?“ Innerlich hoffte Eva, dass Dr. Linderbach verneinen würde. Sie spannte ihren Körper an. „Wir haben ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. Er wird erst mal schlafen. Sie können ihn aber morgen besuchen, wenn Sie wollen.“ Eva schwieg. „Sie können es sich ja überlegen. Er liegt in der Helios Klinik“, informierte er noch. „Dankeschön. Informieren Sie mich bitte weiterhin über seinen Zustand. Auf Wiederhören“, beendete Eva das Gespräch, ohne die Antwort abzuwarten. Wieder blickte sie an die gegenüberliegende Wand. Was hatte sie nur getan? War sie zu hart zu ihrem Vater gewesen? Hatte er von seiner Herzerkrankung gewusst? Und wenn, wieso wollte er dann unbedingt aus dem Gefängnis fliehen? Evas Gedanken drehten sich im Kopf. Sie musste sich ablenken. Wie mechanisch stand sie auf und ging an den Tresor. Dort hatte sie ja heute Morgen ihren Laptop eingeschlossen.

Sie öffnete die Datei und begann zu schreiben. Allerdings konnte sie sich nicht konzentrieren. Normalerweise vertippte sie sich nie. Doch heute passierte es ihr bei fast jedem Wort. Eva klappte den Deckel zu. Sie musste ihre Mutter informieren. Auch wenn Annemarie nicht mehr mit Werner zusammen war, hielt es Eva für wichtig, sie über den Zustand von ihm zu informieren. Doch irgendwas sträubte sich dagegen.

 

So, Frau Walter. Machen Sie sich mal frei“, stand die Krankenschwester mit einigen Tüchern auf dem Arm und einer Schüssel Wasser im Zimmer. „Für was denn?“, kam genervt von ihr. „Für den Brustwickel“, kam von der Schwester. „Meinetwegen!“, kam mürrisch von ihr und zog das Oberteil aus. Die Schwester tauchte das Tuch ins Wasser und legte es dann ins Bett. „Jetzt können Sie sich wieder hinlegen.“ Walter tat, was ihr befohlen wurde. „Das ist ja kalt“, beschwerte sie sich, als die Schwester fertig war. Das hat schon seine Richtigkeit. Ruhen Sie sich aus. Ich komme in einer Stunde wieder.“ „Bei so einer Kälte kann ich mich nicht ausruhen.“ Die Krankenschwester lächelte. „Es wird Ihnen aber gut tun, glauben Sie mir“, verließ sie das Zimmer. Erst als die Schwester draußen war, atmete Walter erleichtert aus. Sie musste zugeben, dass das Kühle ihr doch ganz gut tat. Abgespannt schloss sie die Augen und fiel in einen traumlosen Schlaf.

 

Noch immer überlegte Eva, ob sie ihre Mutter anrufen sollte. Das letzte Mal als sie mit ihr telefoniert hatte, war Jahre her. Eva hatte den Kontakt zu ihren Eltern eigentlich abgebrochen. Sie kam nicht weiter mit ihren Gedanken. „Ja?“, rief sie, als es an der Tür klopfte. Möhrchen steckte ihren Kopf herein. „Frau Mohr, was gibt es denn? Ich habe noch einiges zu tun“, war Eva nicht gerade über die Störung begeistert. „Frau Dr. Kaltenbach wartet draußen mit einer Bewerberin“, kam von der Sekretärin. „Was denn für eine Bewerberin?“, wusste Eva gar nicht, worum es ging. „Ach, Frau Adler hat Sie gar nicht informiert?“, kam nun erschrocken von Mohr. „Nein. Um was für eine Bewerberstelle geht es denn?“, wollte Eva wissen. „Um die Stelle von Dr. Saalbach.“ Eva sah ihre Sekretärin erschrocken an. Hatte sie etwa seine Kündigung verlegt. „Ich kann Ihnen das wohl besser erklären“, meldete sich nun Evelyn Kaltenbach.

 

Dr. Saalbach hatte sich gestern bei mir gemeldet, dass er eine neue Arbeitsstelle angeboten bekommen hat“, erklärte die Staatssekretärin. „Schön, dass Sie informiert wurden sind“, machte Eva eine zynische Bemerkung. „Er hatte ein schlechtes Gewissen. Es ging alles ziemlich schnell.“ „Haben Sie sich denn schon um Ersatz gekümmert? Frau Walter liegt krank auf der Krankenstation“, informierte Eva. „Er hat sich selbst um Ersatz gekümmert.“ Evelyn war aufgestanden und zur Tür gegangen, öffnete sie. „Frau Reitenbach?“, rief Evelyn ins Vorzimmer. Eva riss die Augen auf. Reitenbach? Der Name kam ihr bekannt vor. Eine Frau mit lockigen Haaren hatte das Büro betreten. Das konnte doch nicht sein, schoss es Eva in den Kopf. Vor ihr stand Gabriele Reitenbach aus ihrer damaligen Schulklasse…

 

Teil 39

 

 

 

Darf ich vorstellen. Dr. Gabriele Reitenbach“, kam von Evelyn Kaltenbach. „Baal“, stellte sich Eva ihrem Gegenüber vor und tat so, als würde sie Engel, wie Gabriele früher in der Schule genannt wurde, heute zum ersten Mal sehen. „Angenehm“, nahm die Frau mit den roten lockigen Haaren, die Hand entgegen. „Nehmen Sie Platz“, kam von Eva. „Wie gesagt, es ging alles sehr schnell. Dr. Saalbach hatte das Angebot vorgestern bekommen“, erklärte die Staatssekretärin die momentane Lage. „Wie lange wird er uns denn noch erhalten bleiben?“, wollte Eva wissen. Die ganze Situation war ihr unangenehm. Es reichte anscheinend nicht aus, dass ihr Vater ihretwegen einen Herzinfarkt erlitt. Nein, jetzt musste auch noch nach Karin und Nick, Engel kommen. Eva fühlte sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Sie erinnerte sich wieder genau an den Tag, an dem Engel zu ihr in die Klasse kam. Alle waren begeistert von ihr und stellten Fragen über Fragen. Auch Eva faszinierte Engel auf eine gewisse Art. Die beiden hatten sich angefreundet und durch das rothaarige Mädchen mit den Locken, hatte sie auch Spaß am Reiten gefunden. Eva war damals froh drüber, dass Engel keine Fragen an sie stellte, warum sie so verschlossen war. Bis zu jenem Reittag. Eva hatte ihr Pferd nicht mehr im Griff und fiel runter. Dadurch war ihr Pullover ein Stück hochgerutscht und Engel hatte ihren geschundenen Rücken zu Gesicht bekommen. Da hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Eva hatte zugegeben, dass Werner sie geschlagen hatte. Engel hatte versprochen, niemandem ein Wort zu sagen und Eva hatte sich drauf verlassen. Einige Tage später hatten ihre Eltern eine Vorladung in die Schule bekommen. Eva sah Engel von der Seite an. Ob sie das noch wusste? „Dr. Saalbach wird noch drei Tage bleiben. Vielleicht wäre es möglich, dass sich Frau Dr. Reitenbach schon mal die Krankenstation ansehen kann?“, kam von Evelyn. „Ja, natürlich“, bestätigte Eva. Recht war ihr das aber nicht. Sie wollte ja mit ihrer Mutter telefonieren. Außerdem hatte Eva Angst, dass Engel eine Andeutung über ihre Vergangenheit machen könnte. Wenn sie nun aber ablehnen würde, würde das wohl mehr Aufsehen erregen. „Dann folgen Sie mir mal“, war Eva von ihrem Stuhl aufgestanden. Evelyn und Engel folgten ihr.

 

Ihre Nachfolgerin möchte sich schon mal die Krankenstation ansehen. Sie verlassen uns ja bald, wie ich gehört habe“, stichelte Eva etwas. „Es freut mich, dass es doch geklappt hat“, reichte der Arzt seiner Kollegin die Hand. „Es freut mich auch sehr. Was für Fälle behandeln Sie so?“, kam Engel sofort mit ihm ins Gespräch. Eva beobachtete sie unauffällig. Früher hatte sie immer vermutet, dass Engel etwas Pferden machen würde. Nun war sie Ärztin. „Hier werden allgemeine Krankheiten behandelt. Zurzeit liegt Frau Walter mit einer starken Bronchitis in einem Krankenzimmer“, erklärte Saalbach. „Kann ich die Patientin mal sehen?“, wollte Engel wissen. Für sie war es wichtig, so schnell wie möglich warm mit der neuen Arbeitsstelle zu werden und dazu gehörte eben auch der Kontakt mit den Insassinnen. „Gern. Ich wollte eh gerade nach ihr sehen“, bat Saalbach seine Kollegin, ihm zu folgen. Wenn das mal gut geht, schoss Eva durch den Kopf. Langsam ging sie den Dreien – Evelyn Kaltenbach eingeschlossen – nach. Im Innersten hoffte Eva, dass dieser Tag schnell vorbei gehen würde…

 

Teil 40

 

 

 

Frau Walter, darf ich Ihnen meine Nachfolgerin vorstellen“, betrat Saalbach das Zimmer, gefolgt von den drei Frauen. „Hä? Wieso Nachfolgerin? Wollte nicht die Schwester kommen und mich von diesem Zeug befreien?“, maulte Walter gleich rum. „Guten Tag, Frau Walter. Ich bin Dr. Reitenbach“, kam von ihr und schaute sich Walter genauer an. „Was für Zeug meinen Sie denn?“, lächelte sie. Evas Blick ging zum Fenster. Sie konnte sich die Szene nicht mehr mit ansehen. Eva kannte Walter und konnte sich denken, dass sie gleich wieder irgendwas sagen wird. Ihr Blick haftete sich am Fenster fest. Wieder musste sie an ihren Vater denken. Wie es ihm jetzt wohl ging? Sie erinnerte sich an die Worte des Arztes. Sein Zustand war stabil, aber ein Besuch wäre zuviel für ihn. Der Gedanke, dass Eva an dem Infarkt schuld war, brannte sich wieder stärker in ihren Kopf. Sein Herz war vorerkrankt. Aber was das genau bedeutete, das hatte Eva am Telefon nicht gefragt. Ob sie den Arzt noch mal anrufen sollte? Ja, das würde sie machen und erst dann Annemarie anrufen. Dann konnte sie ihr bessere Informationen geben. „Frau Baal? Ist alles in Ordnung?“, war Evelyn an sie heran getreten. „Ja, sicher“, hatte sie ihre Starre gelöst und sah die Staatssekretärin an. „Das Zeug, was mir auf die Brust gelegt wurde“, sagte Walter. Eva hatte sich wieder zu ihnen gedreht. Anscheinend ging es Walter tatsächlich nicht besonders gut. Denn von einem Spruch hatte Eva nichts gehört. Oder war Eva so sehr in ihren Gedanken versunken, dass sie es nicht gehört hatte? Sie sah die beiden an. „Sie meint den Brustwickel“, kam nun von Saalbach. „Hat er Ihnen denn geholfen?“, wollte Engel von Walter wissen. „Es ging“, kam knapp zurück. „Dann erholen Sie sich noch gut. Wir sehen uns dann in drei Tagen“, verabschiedete sich Engel. Walter lächelte.

 

Gut, dann sehen wir uns in drei Tagen“, reichte Eva Engel die Hand, als sie wieder im Büro waren. Sie hatte schon früh gelernt, ihre Befindlichkeiten nicht zu zeigen. Gerade bei Engel wollte das Eva nicht. Den Verrat von damals hatte sie nicht vergessen. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“ Die beiden Frauen sahen sich lange und intensiv an. „Sie werden nicht bereuen, dass Sie sich hier beworben haben“, brach Kaltenbach das Schweigen. „Das sehe ich auch so.“ Bei diesem Satz sah sie Eva nur noch intensiver an. Dieser war dieser Blick unangenehm. Eva ahnte, dass Engel in nächster Zeit noch einmal auf ihren Vater zu sprechen kommen würde. Gerade jetzt, musste sie sich noch mehr zusammenreißen.

 

Ist wirklich alles in Ordnung bei Ihnen?“, sprach die Staatssekretärin Eva noch einmal darauf an. „Ja, alles in Ordnung. Ich muss nur über etwas nachdenken“, gab sie zu. „Wenn was ist, melden Sie sich ruhig.“ „Mach ich“, lächelte Eva leicht.

 

Nachdem auch Evelyn Kaltenbach gegangen war, hängte Eva ihren Gedanken wieder nach. Sie musste wissen, warum das Herz ihres Vaters schon vorbelastet war. Sie griff zum Telefon und rief die Auskunft an, da sie keine Nummer von dem Krankenhaus hatte. Wenig später ließ sie sich mit Dr. Linderbach verbinden. „Guten Tag, Baal. Dr. Linderbach ich hätte da mal noch eine Frage wegen meinem Vater“, sprach sie in den Hörer. „Was wollen Sie denn wissen?“, kam zurück. „Sie haben gesagt, dass sein Herz schon vorher geschädigt war. Wovon denn?“ Eva hätte nie gedacht, dass sie so weich sein könnte, wenn es um Werner ging und dass sie es nicht immer schaffen würde, ihre Gefühle zu verbergen. „Er hatte vor einigen Monaten eine starke Bronchitis die zu spät erkannt wurde und dadurch bekam Ihr Vater eine Herzmuskelentzündung“, erklärte Linderbach. Eva erschreckte sich. „Ist das denn schlimm?“, wollte sie wissen. „Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Es kann sein, dass Ihr Vater daran stirbt. Aber solange sein Zustand stabil ist, und das ist er, besteht kein Grund zur Sorge.“ Eva schwieg. Das konnte alles nicht wahr sein. „Danke, für die Auskunft. Auf Wiederhören“, legte sie nach weiteren Sekunden auf.

Wusste Werner dass er so was hatte und wusste er vielleicht auch, dass er daran sterben könnte, wenn er sich überanstrengte? In Eva kam ein grausamer Gedanke hoch. Wollte Werner sich an seiner Tochter rächen und vor ihren Augen sterben?
 

 

 

Teil 41

 

 

Uschi, wie geht es denn Walter?“, kam Ilse auf sie zu, nachdem sie wieder auf Station war. „Als ich bei ihr war, hatte sie Fieber. Mehr weiß ich leider nicht“, kam von Uschi. „Oh, dann hat es sie wohl doch ganz schön erwischt“, verzog Ilse das Gesicht. „Sieht so aus. Aber Walter ist wie ein Schrank. Die haut so schnell nichts um. Wirst sehen. In ein paar Tagen ist sie wieder hier“, klopfte sie Ilse auf die Schultern und ging dann Richtung Zelle.

 

Macht dir die Arbeit denn Spaß?“, saß Karin mit Nick im Aquarium. „Ja, es ist etwas anderes, als das, was ich vorher gemacht habe und dir?“, gab Nick freundlich zurück. „Mir macht sie auch Spaß. Nur hab ich nicht geglaubt, dass es doch so hart zugeht“, machte die neue Schließerin ein offenes Geständnis. Nick lächelte verschmitzt. „Da kannst du mal sehen, dass Frauen nicht immer so sanft und vertraut mit einander umgehen.“ „Das war mir schon vorher bewusst“, bekam er als Antwort. Karin musste an Eva denken. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie diese noch mal treffen würde, schon gar nicht hier. Karin hatte gedacht, dass sie sich nach Dienstschluss mal mit Eva treffen konnte. Aber meistens, wenn sie schon Feierabend hatte, saß Eva noch immer über den Akten. Wie lange das wohl noch so weitergehen würde? „Ich muss wohl einfach abwarten“, sagte sie plötzlich laut. „Bei was musst du denn abwarten?“, sah Nick sie an. „Was? Ach, ich habe wohl einfach nur laut gedacht. Nicht so wichtig“, winkte sie ab. „Wie du meinst“, sagte er und richtete seinen Blick wieder auf eine Akte.

 

Frau Baal, soll ich schon mal eine Akte für die neue Ärztin anlegen?“, kam Möhrchen ins Büro. Der Anblick von Eva, ließ die Sekretärin selbst starr werden. Eva hatte ihren Kopf in ihre Hände gestützt. Sie schien über etwas nachzudenken. „Frau Baal?“, war Möhrchen näher an ihre Chefin heran getreten. „Was? Können Sie denn nicht anklopfen?“, fragte Eva, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Sie hoffte, dass Sybille Mohr nicht schon länger vor ihrem Schreibtisch stand. „Das habe ich. Aber Sie haben es wohl nicht gehört“, sagte sie. „Und das ist ein Grund für Sie, einfach hier rein zu platzen?“, kam schnippisch von Eva. „Nein, aber…“, versagte die Stimme der Sekretärin. „Was gibt’s denn?“, wollte Eva nun wissen. „Ich wollte fragen, ob ich schon mal eine Akte für die neue Ärztin anlegen soll?“ Möhrchen war verunsichert. Sie kannte Evas Launen zwar, aber wenn ihre Vorgesetzte so drauf war, wusste sie nie, ob sie was Falsches sagen würde. „Frau Mohr, wie lange arbeiten Sie schon hier? Wenn jemand Neues hier anfängt wird natürlich eine Akte angelegt“, hatte Eva ein Zorn in ihrer Stimme. Sie hasste es, wenn sie Dinge mehrmals erklären musste. „Ja, in Ordnung.“ Sybille Mohr ging zur Tür, öffnete sie und verließ den Raum wortlos.

 

Eva griff zum Telefon, traute sich aber nicht, die Nummer der Auskunft zu wählen. Sie wusste zwar, dass sie ihre Mutter anrufen musste, aber irgendetwas sperrte sich in ihr. Annemarie war schon damals ängstlich, wenn Dinge auf sie zukamen, mit denen sie nicht umgehen konnte. Eva straffte ihre Schultern. Heute würde Eva ihre Mutter nicht mehr anrufen. Wieder kam in ihr der Gedanke hoch, dass Werner vor ihren Augen sterben wollte. Aber warum? Hasste er seine Tochter nun so sehr, dass er zu solchen Mitteln griff? Ich muss das herausfinden sagte Eva sich im Inneren. Sie erhob sich, räumte ihren Schreibtisch auf und ging ins Vorzimmer.

 

Frau Baal, wollen Sie schon gehen?“, kam von Möhrchen, die sie verunsichert ansah. „Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen. Sollte etwas sein, ich bin auf dem Handy erreichbar“, sagte sie zu ihrer Sekretärin. Diese nickte. „Ist gut. Bis morgen“, sagte Mohr noch schnell. Eva hörte es nicht mehr. Sie war mit den Gedanken schon bei dem Gespräch mit ihrem Vater. Traf sie die richtige Entscheidung?

 

Teil 42

 

 

 

 

Eva ging den eigentlich kurzen Weg bis zum Krankenhaus sehr langsam. So konnte sie sich schon mal überlegen, wie sie das Gespräch mit Werner führen wollte. Aber war das überhaupt möglich, sich vorher Gedanken zu machen? Meistens kam es sowieso immer anders, als man es geplant hat. Eva hielt kurz inne. War es nicht besser, wieder umzudrehen? Vielleicht durfte sie auch gar nicht zu Werner. Wenn wirklich die Gefahr bestand, dass sich dadurch sein Zustand verschlechterte. Nun hatte sie schon die Hälfte des Weges geschafft. Sie atmete tief durch und ging weiter Richtung Krankenhaus.

 

Guten Tag. Mein Name ist Eva Baal“, stand sie auch schon kurze Zeit später bei der Anmeldung der Helios-Klinik. „Wie kann ich Ihnen helfen, Frau Baal?“, kam freundlich von der Krankenschwester, die hinter dem Tresen saß. „Ich möchte bitte mit Herrn Dr. Linderbach sprechen“, informierte Eva die Schwester. Diese machte ein mitfühlendes Gesicht. „Das tut mir leid. Dr. Linderbach ist noch im OP. Aber nehmen Sie doch im Wartezimmer Platz. Ich gebe Ihnen dann Bescheid, wenn er wieder da ist“, kam freundlich von ihr. Eva nickte ihr zu und begab sich dann in das Wartezimmer. Sie war die einzige. Das passte ihr gut. Sie hatte im Moment keinen Bedarf auf Gesellschaft. Auch wenn sie nicht mit den Leute hätte reden müssen, aber es wäre ihr schon unangenehm gewesen, deren bloße Anwesenheit ertragen zu müssen. Eva sah sich erst etwas im Raum um. Er war hell und geräumig. Die Ausstattung war einer der neusten. Ist ja auch logisch. Immerhin war es eine der besten Kliniken. Auf dem kleinen Beistelltisch entdeckte Eva eine kleine Broschüre. Sie beugte sich ein Stück vor, um es besser erkennen zu kennen. Ihr Blick wurde für einen Moment starr. Sie griff nach dem kleinen Heftchen und begann darin zu blättern. Ihre Augen weiteten sich immer mehr, wenn sie eine Seite weiter blätterte. „Frau Baal? Sie wollten mich sprechen?“, wurde Eva durch die Stimme des Arztes aus ihren Gedanken gerissen. Rasch klappte sie das Heft zu. „Ja, es geht um meinen Vater.“ Sie legte die Broschüre zurück und erhob sich. „Haben Sie denn noch Fragen?“ Linderbach hatte sein Kopf etwas seitlich gelegt. Scheinbar war das seine Angewohnheit. Vielleicht konnte er es aber auch nicht anders. Eva wusste es nicht. Es war ihr aber auch egal. „Ich wollte ihn besuchen. Ist das möglich?“, fragte sie geradeaus. „Kommen Sie mal mit. Wir müssen das ja nicht gerade hier besprechen“, kam vom Arzt. Dann drehte er sich um und ging voraus. Eva zuckte die Schultern. Warum sie mitgehen sollte, verstand sie nicht. Wahrscheinlich war es doch keine gute Idee, hierher zu kommen. Diese Erkenntnis kam jetzt allerdings zu spät.

 

Kann ich denn nun meinen Vater sehen oder nicht?“, wollte Eva sofort wissen, als sie im Praxiszimmer von Linderbach ankamen. „Setzen Sie sich doch erst einmal“, bot er ihr einen Platz an. Seine blauen Augen blitzten. Er hatte braune kurze Haare. Eva schätzte ihn auf Anfang 40. „Ich stehe lieber“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es gibt da etwas, was Sie vielleicht wissen sollten“, begann er das Gespräch. „Wieso, was ist denn? Geht es ihm denn schlechter?“ In den Augen der Leiterin von Rutlitz erkannte man, dass sie sichtlich beunruhigt war. „Nein, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sein Zustand ist stabil“, gab Linderbach Auskunft. „Was ist denn dann? Wieso kann ich nicht zu ihm?“, verstand Eva immer noch nicht, wieso sie mit dem Arzt dieses Gespräch führte. „Frau Baal, es tut mir leid. Ihr Vater will Sie nicht sehen“, rückte er nun endlich mit der Sprache raus. Eva war sichtlich geschockt. Das konnte doch nicht sein… 

 

 

Teil 43

 

 

Wie meinen Sie das, dass er mich nicht sehen will?“, bekam Eva große Augen. „Ich weiß nicht, was bei Ihnen vorgefallen ist. Aber Ihr Vater bat mich, Sie nicht zu ihm zu lassen. Es tut mir wirklich leid“, bedauerte Linderbach. „Können Sie da nicht eine Ausnahme machen?“, wollte Eva wissen. Ihr war es nun wirklich schon schwer genug gefallen, hierher zu kommen und nun sollte sie einfach wieder gehen, ohne mit Werner gesprochen zu haben? „So gerne ich Ihnen diesen Gefallen tun würde. Es geht nicht. Das Herz von Ihrem Vater ist noch sehr schwach. Wenn Sie jetzt zu ihm gehen würden, wäre das nicht gut für seinen Zustand. Er könnte sich rapide verschlechtern. Bitte haben Sie Verständnis, Frau Baal“, redete der Arzt auf sie ein. Nun wusste Eva nicht mehr, was sie sagen sollte. Nicht nur, dass die Wut sich bei ihr steigerte. Sondern dass Werner ihr für alles die Schuld gab. „Bitte, Dr. Linderbach“, versuchte es Eva erneut, „es ist sehr wichtig für mich. Ich muss unbedingt mit ihm sprechen.“ Linderbach sah sie intensiv an. Man konnte zwar nicht sagen, dass Eva jeden Moment aus Trauer anfing zu weinen. Aber der Arzt hatte das Gefühl, dass die Frau vor ihm wirklich sehr verzweifelt sein musste. „In Ordnung. Aber wirklich nur fünf Minuten. Ihr Vater braucht noch sehr viel Ruhe“, sagte Linderbach. „Natürlich. Wo finde ich ihn denn?“, erkundigte sich die Leiterin der Vollzugsanstalt. „Ich bringe Sie hin und warte draußen.“ Sie gingen den langen Krankenhausflur entlang.

 

Wirklich nur fünf Minuten“, sagte der Arzt noch einmal ausdrucksstark. Eva antwortete mit einem Nicken. Dann zog sie sich einen Schutzkittel an und schon die Tür zum Krankenzimmer ihres Vaters auf.

 

Sie blieb einen Moment starr und nahm ein Piepsen wahr. Evas Blick wanderte zum Bett, wo Werner lag. Nun konnte sie das Piepsen auch zuordnen. Es kam von einer Maschine, an die Werner angeschlossen war. Langsam trat sie an das Krankenbett heran. Werner hatte die Augen geschlossen. Eva konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob Werner schlief oder einfach nur ruhte. Sie setzte sich leise auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. „Ich hatte dem Arzt doch ausdrücklich gesagt, dass er dich nicht zu mir lassen soll. Man kann sich auf niemanden mehr verlassen“, sagte Werner mit geschlossenen Augen. Eva zuckte leicht zusammen. „Ich habe Dr. Linderbach darum gebeten. Ihn trifft keine Schuld“, kam leise von seiner Tochter. „Was willst du?“ Werner hatte seine Augen geöffnet und funkelte Eva böse an. „Der Arzt sagte mir, dass du eine Herzmuskelerkrankung hast. Er sagte, dass du die wohl schon länger hast. Wusstest du davon?“ Eva spielte wieder mit ihren Fingern. Ihre Kehle hatte sich zugeschnürt vor lauter Anspannung. „Ja“, sagte Werner nur knapp. „Vater…“, hauchte Eva. Mit allem hätte sie gerechnet. „Du willst wissen, wieso ich dir nichts davon gesagt habe?“ Schweigen. „Du solltest büßen dafür, dass ich ins Gefängnis gehen musste!“ Die Stimme von Werner hatte eine Kälte angenommen, die einem Angst machen konnte. „Du hast selbst aussagt. Du hättest es nicht ertragen, wenn ich ins Gefängnis gemusst hätte“, rief Eva. „Was hätte ich denn anderes machen sollen? Es stand eh schon auf der Kippe. Leugnen hätte nichts gebracht!“ Eva nickte. „Richtig, Vater. Du hast endlich mal zu deiner Schuld gestanden.“ „Nur weil du deinen Mund nicht halten konntest. Deine Mutter hat dich verzogen“, kam bitter von ihm. „Lass Mutter aus dem Spiel. Ich habe oft genug meinen Mund gehalten. Ich dachte, du liebst und schätzt mich. Aber ich war dir nie gut genug. Immer nur andere, die sogar für deine Fehler einstehen mussten!“ „Geh jetzt“, sagte Werner. „Warum? Wird es dir jetzt zu anstrengend?“, fragte Eva herausfordernd. „Geh“, schrie er beinah und fasste sich an die Brust. Sofort stürmte Dr. Linderbach und eine Schwester in das Zimmer. „Bitte verlassen Sie jetzt den Raum“, sagte er zu Eva. „Herr Baal, atmen Sie ganz ruhig ein und aus“, beruhigte er seinen Patienten. Eva sah zu. Danach ging sie wie hypnotisiert aus dem Zimmer. War sie möglicherweise für den schlechten Zustand ihres Vaters verantwortlich?
 

Teil 44

 

 

 

Eva stand draußen auf dem Flur und machte sich Gedanken um Werner. Hatte sie wirklich daran Schuld, dass es ihm nun so schlecht ging? Sie ging auf und ab. Dabei wollte sie ihn doch nur etwas fragen. Aber Werner hatte sich darüber aus aufgeregt. Eva blickte zur Tür. Linderbach näherte sich der Sicherheitstür, öffnete diese kurze Zeit später. „Wie geht es ihm denn?“, wollte Eva sofort von dem Arzt wissen. „Das hat nicht unbedingt zur baldigen Genesung Ihres Vaters beigetragen. Wir haben ihm jetzt Medikamente gegeben“, informierte Linderbach Eva. „Wird er es überstehen?“ Eva sah wie gebannt auf den Halbgott in weiß. „Ich hatte Ihnen ja schon einmal gesagt, dass wir mit allem rechnen müssen. Wir haben ihn zwar soweit stabil bekommen, aber das kann sich jederzeit wieder ändern. Ich kann keine genaue Prognose abgeben. Ist Ihr Vater denn verheiratet?“, wollte er wissen. Eva schwieg. Annemarie hatte ihr vor Jahren zwar in einem Brief geschrieben, dass sie sich von Werner getrennt hatte. Aber von Scheidung stand nichts drinnen. „Ja, ist er“, antwortete sie dennoch. Wieso wollte er das denn wissen? Würde Werner wirklich bald das Zeitliche segnen? „Würden Sie seine Frau informieren? Nur für den Fall der Fälle“, kam von Linderbach. Eva sah ihn verwundert an. War es nicht eigentlich Aufgabe der Ärzte, den Angehörigen des Patienten Bescheid zu sagen? Eva dachte an ihre Mutter. Wenn Annemarie immer noch so war wie damals – und davon ging sie aus - wäre es wohl besser, wenn sie mit ihr sprach. „Mach ich. Sie halten mich weiter auf den neusten Stand, wie es meinem Vater geht?“, wollte Eva zur Sicherheit noch einmal wissen. „Natürlich. Ich werde Sie sofort informieren, wenn sich an seinem Zustand etwas geändert hat“, bestätigte der Arzt. Sie sprachen noch kurz miteinander. Dann ging Eva wieder zurück in die Vollzugsanstalt.

 

Es war bereits nach Arbeitsende, als Ilse vor dem Aquarium auf der Station stand. In dem Aquarium saß Nick Reuter und hatte sich über eine Zeitung gebeugt, Ilse sprach ihn an: „Herr Reuter?“, kam etwas schüchtern, aus dem Mund der Insassin. Der Beamte sah auf und überlegte kurz. „Sie sind Frau Wünsche, oder?“, kam unsicher von ihm. „Genau. Ich habe da mal eine Frage“, lächelte sie. „Was kann ich denn für Sie tun?“ Ilse senkte kurz ihren Blick. Sie war sich nicht ganz sicher, ob Nick nicht auch so einer wie Kittler war. „Frau Wünsche, ich beiße nicht. Sie können ruhig Ihre Frage stellen“, kam auffordernd, aber freundlich von ihm. „Ich wollte Sie bitten, dass Sie mich zu Frau Walter auf die Krankenstation bringen. Ich würde sie gern mal besuchen“, kam leise von Ilse. „Ich warte nur noch auf meine Ablösung, dann kann ich Sie zu ihr bringen“, sagte Nick.

 

Nach nur zwei Minuten kam die Ablösung von Nick. „Ich hole Sie in 20 Minuten wieder ab.“ Ilse nickte schnell und klopfte dann an die Tür, danach trat sie ein. „Hey, Walter. Wie geht es dir denn?“, wollte Ilse von ihrer Mitinsassin wissen. Walter hatte gerade wieder eine Hustenattacke, sagte aber dennoch, dass es ihr super gehen würde. „Hört sich aber nicht so gut an.“ Walter machte eine abfällige Handbewegung. „Das war nur ein Staubkorn. Wusstest du, dass der Saalbach aufhört?“, wollte die Patientin von der Reutlitzer Tratschtante wissen. „Nee, wusste ich nicht. Woher weißt du das denn?“, hatte Ilse die Augen aufgerissen. „Das hat er mir selbst gesagt vorhin. Die haben sogar schon jemand anderen“, berichtete Walter strahlend. „Wieso grinst du denn da so? Ist es etwa eine Frau?“ Ihr Grinsen verbreiterte sich. „Und was für eine. Die hat wirklich Klasse.“ „Na, dann wirst du ja sicherlich schnell wieder fit“, grinste nun Ilse.

 

Frau Baal, Sie sind ja wieder da.“ Möhrchen schreckte leicht hoch. „Mein Termin dauerte nicht so lange. Machen Sie mir bitte eine Verbindung zur Auskunft.“ Eva hängte ihren Mantel auf und verschwand im Büro. Nachdem sie die Nummer ihrer Mutter bei der Auskunft erfragt hatte, wählte sie diese und wartete ab. Was sollte sie ihr denn genau sagen. „Hallo, Mama. Ich soll dir von einem Arzt ausrichten, dass Vater möglicherweise im Sterben liegt“, schoss es ihr durch den Kopf. Plötzlich meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Annemarie Baal?“ Eva zuckte zusammen…

Teil 45

 

 

Hallo, ist da wer?“, kam von Annemarie, nachdem Eva noch nichts gesagt hatte. Noch immer überlegte diese, ob es nicht besser wäre, wieder aufzulegen. Innerlich schüttelte Eva den Kopf. „Hallo, Mama. Hier ist Eva“, meldete sie sich nun doch. „Eva, mein Kind!“, kam fröhlich von ihrer Mutter, „das ist ja schon ewig her, dass du dich gemeldet hast. Wie geht es dir denn?“, wollte Annemarie von ihrer Tochter wissen. „Danke, mir geht es gut. Ich rufe wegen Vater an“, nannte sie jetzt den eigentlichen Grund, weswegen sie ihre Mutter anrief. „Was ist denn mit Werner?“ Die Stimme von Werners Frau klangt nicht mehr so fröhlich wie eben noch. Scheinbar ahnte sie, dass Eva keine guten Neuigkeiten hatte. „Er liegt im Krankenhaus und hat eine Herzmuskelerkrankung“, sagte Eva. „Um Gottes Willen! Wie konnte das denn passieren?“, fragte Annemarie aufgebracht. „Vater hatte eine starke Bronchitis, die er nicht richtig auskuriert hatte“, informierte Eva. „Oh nein. Steht es denn sehr schlimm um ihn?“ In Evas Kopf arbeitete es. Sollte sie ihrer Mutter denn sagen, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen müssten? Deswegen hatte sie ja eigentlich angerufen. Aber nachdem sie ihre Mutter so aufgebracht am Telefon erlebt hatte, hatte Eva nun doch Zweifel, ob es in diesem Fall nicht besser wäre, zu lügen. „Eva, nun sag doch was“, drang die Stimme von Annemarie in ihr Ohr. „Der Arzt sagte, dass wir wohl mit allem rechnen müssten. Bitte bleib ruhig. Sein Zustand ist derzeit stabil und wir müssen uns keine Gedanken machen“, redete Eva schnell weiter. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen könnte, war ihre Mutter, die die halbe Welt noch mit verrückt macht. „Du rufst mich doch an, wenn es ihm schlechter geht. Oder soll ich kommen?“ Genau das hatte Eva befürchtet. Annemarie konnte einen wahnsinnig machen, wenn sie in Sorge war. Das hatte sich in den Jahren sicherlich nicht geändert - falls sich bei ihr überhaupt etwas geändert hatte. „Nein, du musst nicht extra kommen. Machen können wir momentan sowieso nichts. Ich rufe dich in den nächsten Tagen noch einmal an und informiere dich“, sagte Eva und hoffte, dass sich ihre Mutter damit zufrieden gab. „Gut. Danke, Eva. Hoffen wir das Beste.“ „Ja, hoffen wir das Beste“, wiederholte Eva. Was das Beste war, darüber waren die beiden Frauen sicher unterschiedlicher Ansichten. „Auf Wiederhören“, fügte sie noch hinzu und legte dann auf, ohne die Antwort ihrer Mutter abzuwarten.

 

Dieser Husten macht mich noch verrückt“, sagte Walter, als sie einen weiteren Anfall überstanden hatte. „Es hört sich wirklich grauenvoll an. Können die da nix machen?“, fragte Ilse, die leichte Tränen in den Augen hatte. „Ich muss Tee trinken und dann bekomme ich noch so einen Brustwickel und das da zum Einreiben“, zeigte sie auf eine kleine Flasche, die auf dem Nachtschränkchen stand, „aber das geht irgendwie nicht.“ Ilse sah auf die Flasche. „Soll ich dich einreiben?“, fragte sie. „Nein, musst du nicht. Steckst dich nur an“, kam von Walter, die ein erneutes Husten überkam. „Das geht schon“, ließ sich Ilse nicht beirren und griff zur Flasche. „Wie du meinst“, zog Walter sogar freiwillig ihr Oberteil aus und ließ sich ins Kissen fallen. Langsam und behutsam massierte Ilse das Öl ein. „Ist es schon ein bisschen besser?“, fragte Ilse, während sie massierte. „Du kannst ruhig ein bisschen fester drücken. Ich merk ja gar nichts“, kam von Walter. „Frau Wünsche, kommen Sie“, stand Nick einige Minuten später im Zimmer. „Einen Moment noch“, kam von ihr. Nick nickte und verließ den Raum. „Dir geht es bestimmt bald besser.“ Walter lächelte. Ilse war wirklich eine gute Seele und im Inneren musste sie zugeben, dass ihr das Einreiben doch gut tat. „Danke, Ilse. Mach dir keine Gedanken, ja? Ich bin bald wieder fit.“ „Ach Walter“, fiel Ilse ihr plötzlich um den Hals. „Hey, ist schon gut. Du kannst ja morgen wiederkommen und Krankenschwester spielen“, grinste Walter. Ilse nickte und ließ Nick nicht länger warten. Walter sank zurück ins Kissen und schloss die Augen, um sich gesund zu schlafen…

 

Teil 46

 

 

 

Guten Morgen, Frau Baal“, stand Sybille Mohr im Büro der Anstaltsleitung. „Morgen“, kam mürrisch von Eva. „Im Vorzimmer wartet die neue Frau Doktor. Soll ich sie rein bitten?“, lächelte die Sekretärin. Eva sah etwas verwundert auf, dann nickte sie. Heute war ja der Dienstbeginn von Engel, kam es ihr in den Sinn. Eva wäre es am liebsten gewesen, wenn Jutta Adler das Gespräch mit ihr geführt hätte. Aber die hatte sich kurzzeitig Urlaub genommen, weil sie irgendwohin wollte. Also musste Eva das erledigen. „Ja, bitten Sie sie rein“, kam von Eva, die sich gerade noch ein paar Notizen machte. Möhrchen lächelte und verschwand kurz im Vorzimmer. „Sie erwartet Sie bereits“, konnte Eva hören, schrieb aber dennoch weiter.

 

Nehmen Sie Platz“, sagte Eva zu Engel, als diese im Büro stand. „Heute beginnt Ihr erster Arbeitstag hier. Hat Frau Dr. Kaltenbach Ihnen schon gesagt, wie es hier zugeht?“, wollte Eva von Engel wissen, da sie keine genauen Informationen hatte. „Wir hatten noch ein langes Gespräch nach meinem Vorstellungsgespräch“, antwortete Engel. Sie betrachtete Eva. Wie lange war es her, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten? 20 Jahre? 25 Jahre? Sie wusste es nicht genau. Aber irgendwie verspürte Engel Freude, Eva zu sehen. Dennoch hatte sie nicht vergessen, was damals vorgefallen war. Aber Engel hatte mit den Jahren verstanden, dass Eva nur Angst hatte – Angst vor ihrem Vater. Ob sich das geändert hatte? Sollte sie Eva danach fragen? Engel entschied sich dagegen. Gerade an ihrem ersten Tag war es wohl nicht sonderlich angebracht, seine neue Chefin nach privaten Dingen zu fragen. Auch wenn sie Eva länger kannte. „Gut, dann wird Sie eine Beamtin gleich auf die Krankenstation bringen. Ich sage Frau Mohr Bescheid“, betätigte Eva die Sprechanlage. Engel beobachtete sie. Eva wirkte sehr professionell, verzog keine Miene, kein Augenzwinkern. Es musste ja für Außenstehende so wirken, als ob sie sich heute das erste Mal sehen.

Frau Schnoor wird Sie gleich rüber bringen. Falls Sie noch Fragen haben. Sie können sich jederzeit an mich oder Frau Adler wenden“, kam von Eva. „Vielen Dank, Frau Baal“, sagte Engel, obwohl es ihr ziemlich schwer fiel, so mit Eva zu sprechen. Auch Eva selbst wirkte ziemlich angespannt. „Frau Schnoor, ist jetzt da“, lugte Möhrchen durch die geöffnete Bürotür und unterbrach die Stille. „Danke, Frau Mohr. Auf gute Zusammenarbeit“, reichte Eva der neuen Anstaltsärztin die Hand. „Gleichfalls“, lächelte diese nun und verließ den Raum.

Nachdem Eva wieder allein im Büro war, sank sie in ihren Stuhl. Lange würde sie diese Situation nicht aushalten, dessen war sie sich bewusst.

 

Ich hoffe, dass es Ihnen hier gefallen wird“, unterhielt sich Birgit Schnoor mit Engel, während sie auf den Weg zur Krankenstation waren. „Das denke ich schon. Ich hatte vor 3 Tagen ja schon mal einen Einblick.“ Birgit lächelte. „Hoffentlich kommen Sie auch mit Frau Walter klar. Manchmal ist sie nicht ganz einfach“, warnte Birgit vor. „Frau Walter? Ist das die Frau, die zurzeit mit einer Bronchitis auf der Krankenstation liegt?“, war sich Engel nicht sicher, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lag. „Genau, das ist sie. Sie haben sie wohl schon kennen gelernt?“, fragte die Beamtin. „Dr. Saalbach hatte mir die Krankenstation gezeigt und da habe ich sie kennen gelernt. Ich werde nachher mal nach ihr sehen“, kam von Engel. Danach gingen die beiden Frauen schweigsam weiter.

 

Eva saß in ihrem Büro und hatte sich über ein paar Akten gebeugt, die sie noch durcharbeiten wollte, als das Telefon klingelte. Wie mechanisch und ohne hinzusehen, nahm sie ab. „JVA Reutlitz, Baal?“, meldete sie sich am Telefon. „Guten Tag, Frau Baal. Hier spricht Dr. Linderbach. Ich rufe wegen Ihrem Vater an.“ Bei Eva läuteten die Alarmglocken. „Hat sich sein Zustand verschlechtert?“, fragte sie gerade heraus. Sie verstand zwar selbst nicht, warum sie so in Panik geriet. Immerhin hat Werner ihr eine Menge Leid zugefügt, das sie auch niemals vergessen konnte. „Leider ja. Wenn er nicht bald ein Spenderherz bekommt, wird er sterben…“ Die Worte hallten in Eva nach…
 

Teil 47

 

 

 

Wie stehen die Chancen, dass er eins bekommt?“, wollte Eva wissen. „Ich will ehrlich zu Ihnen sein“, kam vom Arzt. „Es sieht nicht gut aus. Er steht auf der Transplantationsliste weit oben, aber Ihr Vater hat eine sehr seltene Blutgruppe“, fügte Linderbach noch hinzu. „Gibt es da keine andere Möglichkeit? Die Medizin ist doch schon so weit.“ Eva wusste nicht, was sie noch sagen sollte. All die Jahre hatte sie Werner nicht im Gefängnis besucht und jetzt machte sie sich solche Gedanken um ihn? Das konnte doch nicht sein. Oder wollte Werner erreichen, dass sie Schuldgefühle hatte? Sicher, dass er möglicherweise sterben könnte, das hatte er sich nicht gedacht. Aber dass sein Herz so schwach war und es nicht mehr lange mitmachen würde, das wusste er. Ja, sie hatte Schuldgefühle. „Es gibt noch die Möglichkeit von einem Kunstherz. Wissen Sie, ob Ihr Vater ein Testament hat? Das wäre in dem Fall erforderlich“, schallte die Stimme von Dr. Linderbach aus dem Hörer. „Das weiß ich nicht genau. Aber ich werde mich erkundigen“, sagte Eva. „Kommen Sie dann bitte ins Krankenhaus. Ich bin bis heute Abend noch im Dienst. Auf Wiederhören“, verabschiedete sich der Arzt. Eva ließ den Hörer sinken. Bis vor ein paar Minuten hatte sie noch gedacht, dass Werner es noch schaffen würde. Aber jetzt? Sie stand auf und schob ihren Stuhl ran.

 

Frau Mohr, ich bin noch mal außer Haus. Bitte sagen Sie erst mal alle Termine für heute Vormittag ab“, sagte Eva, während sie sich ihren Mantel anzog und noch etwas nachschlug. „Wie lange werden Sie denn weg sein?“, kam von der Sekretärin. Irgendwie kam ihr Eva verändert vor. Aber warum wusste Möhrchen nicht. „Ich denke, in einer Stunde bin ich zurück. Notieren Sie bitte alle Anrufe.“ Sie wirkte abwesend. „Mach ich. Frau Baal?“ Erst jetzt blickte Eva zu ihrer Sekretärin auf. „Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Sie wirken so angeschlagen“, fragte Mohr mitleidig. „Kümmern Sie sich bitte um Ihre Arbeit, Frau Mohr. Alles andere geht Sie nichts an.“ Mit diesen Worten verließ Eva das Büro. Möhrchen blickte ihr traurig nach. Irgendwas bedrückte ihre Chefin, dessen war sie sich bewusst.

 

Dann kümmern Sie sich mal um Ihre Patientin“, stand Birgit in der Tür des Arztzimmers. „Das werde ich. Danke, dass Sie mich hergebracht haben“, bedankte sich Engel bei der Schließerin. „Gern. Einen schönen ersten Arbeitstag.“

 

Hier kann man ja nicht gesund werden, wenn ständig jemand ins Zimmer platzt“, regte sich Walter auf, nachdem die Tür geöffnet wurde. „Wie ich höre, geht es Ihnen schon besser“, konnte sich Engel ein Grinsen nicht verkneifen. „Es geht so“, gab Walter ehrlich zu. Engel berührte die Stirn von Walter. „Fieber haben Sie keins mehr. Das ist schon mal gut. Haben Sie sonst noch Schmerzen?“ Walter sah die neue Ärztin genau an. Ihre blauen Augen strahlten eine Herzlichkeit aus. Ihr Lächeln war sanft. „Beim Husten ist es besonders schlimm. Meine ganze Brust tut schon weh“, klagte Walter ihr Leid. „Das ist bei Bronchitis leider so. Ich werde der Schwester Bescheid sagen, dass Sie noch mal eingerieben werden sollen und dann versuchen Sie zu schlafen“, sagte Engel und wollte gehen, als Walter sie zurückhielt. „Wie lange muss ich denn noch hier bleiben?“, wollte sie wissen und hustete. „Mit einer Bronchitis ist nicht zu spaßen und sollte gut auskuriert werden. Sie werden wohl schon noch eine Weile hier bleiben müssen. Haben Sie Probleme beim Abhusten?“, holte sie ihr Stethoskop und hörte Walter ab. „Es tut einfach nur weh“, wollte Walter keine weiteren Auskünfte geben. „Die Schwester reibt Sie dann noch mal ein. Wir bekommen das in Griff“, kam ein Lächeln, dann verließ Engel das Zimmer. „Ganz sicher, du Süße“, flüsterte Walter zu sich selbst.

 

Guten Tag, meine Name ist Eva Baal. Könnte ich mit dem Leiter dieser Anstalt sprechen?“, stand Eva vor der Schleuse vor dem Gefängnis, wo Werner einsaß. „Sie sind die Tochter von Werner Baal?“, fragte eine Frau hinter der Glasscheibe. „Ja“, gab Eva nur knapp zurück. „Einen Moment bitte.“ Sie nickte und versank in Gedanken. Was war, wenn in Werners Testament stand, dass er keine Lebensverlängerungsmaßnahmen wollte?

 

 

Teil 48

 

 

Ein Beamter wird Sie gleich rüber bringen, Frau Baal“, kam von der Schließerin. Eva nickte. Noch immer ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Werner vielleicht gar keine lebensverlängernden Maßnahmen wollte. „Bitte kommen Sie“, wurde Eva durch eine Männerstimme aus ihren Gedanken gerissen. „Natürlich“, folgte sie dem Beamten.

 

Walter lag erschöpft in ihrem Krankenbett, als es an der Tür klopfte. „Ja“, kam schwach von ihr. Danach richtete sie sich ein wenig auf. „Störe ich?“, steckte Ilse ihren Kopf durch den Türspalt. „Nein, tust du nicht. Komm rein“, machte Walter eine Handbewegung. „Ich habe gerade die neue Ärztin gesehen“, setzte sie sich mit einem breiten Grinsen auf den Stuhl. „Was gibt’s denn da zu grinsen?“, wollte Walter wissen. „Die scheint echt nett zu sein. Mal sehen, ob du sie rumkriegst“, nahm Ilse sie auf den Arm. „Ach, Ilse. Das wird schon, wirst du sehen.“ Walters Gegenüber nickte grinsend. „Sicher. Aber denk dran, was die Baal gesagt hat. Nicht jede Neue vom Personal ist lesbisch.“ „Die Baal. Die soll sich ja um ihren eigenen Scheiß kümmern“, war Walters gute Laune verflogen. Erneut bekam sie eine Hustenattacke. „Hört sich ja immer noch nicht besser an“, wurde auch Ilse deprimiert. „Es geht schon wieder. Die dumme Schwester sollte eigentlich kommen und mich einreiben“, konnte sie zwischen dem Husten sagen. „War die denn noch nicht da?“, kam von Ilse. Walter schüttelte hustend den Kopf. „Hast du Schmerzen?“, wollte Ilse wissen, als sich Walter zurück ins Kissen lassen viel. „Du bist wie die Frau Doktor, die hat auch gefragt. Habe nur im Brustkorb Schmerzen. Der Schleim löst sich irgendwie nicht“, kam erschöpft von ihr. Ilse überlegte.

 

Frau Baal, wie geht es Ihrem Vater?“, wollte der Leiter der JVA wissen, nachdem Eva das Büro betreten hatte. Sie sah sich um: Das Büro war sehr viel kleiner als ihr eigenes. Außerdem fiel ihr auf, dass Herr Pelz, wie er sich ihr vorgestellt hatte, keinen Tresor in seinem Büro hatte. „Schlecht. Deswegen bin ich hier“, kam schroff von ihr. Eva hatte keine große Lust, über Werner zu reden. „Das tut mir leid. Kann ich etwas für Sie tun?“, kam freundlich von Pelz. „Das können Sie, ja. Hat mein Vater ein Testament geschrieben?“ Abwartend sah sie ihr Gegenüber an. „Ein Testament? Warum fragen Sie?“ Eva verdrehte kaum sichtbar ihre Augen. War es nicht möglich von dem älteren Herren eine informative Antwort zu bekommen. „Weil ich wissen möchte, ob sein Leben verlängert werden soll. Hat er nun eins oder nicht?“, wurde Eva langsam ungeduldig. „Da müsste ich kurz in seine Akte sehen. Moment bitte.“ „Beeilen Sie sich bitte“, kam etwas scharf von ihr.

 

Ich habe eine Idee, setzt dich auf“, forderte Ilse. „Was hast du vor?“, sah Walter sie verwundert an. „Das wirst du dann sehen.“ Walter setzte sich auf. „Das wird dir sicher helfen“, klopfte Ilse Walter den Rücken ab. „Ich werde jetzt wieder gehen. Ruh dich aus.“ „Danke, Ilse. Du warst mir eine große Hilfe“, schloss Walter die Augen. „Keine Ursache. Ich sag der Schwester trotzdem noch mal Bescheid“, klopfte Ilse an die Tür und verließ das Zimmer.

 

Tut mir leid, aber von einem Testament wurde hier nichts abgelehnt. Kann ich Ihnen denn sonst irgendwie weiterhelfen?“, setzte sich Pelz wieder auf seinen Stuhl. „Haben Sie auch genau nachgeschaut?“, wollte Eva zur Sicherheit noch mal wissen. „Frau Baal, ich würde Ihnen ja gern eine andere Antwort geben. Aber es ist kein Testament vorhanden.“ Eva nickte, dann erhob sie sich. „Vielen Dank. Auf Wiedersehen“, stand sie auf und verließ das Büro.

 

Wie hypnotisiert ging Eva durch die Straßen. Ihre Befürchtung, dass Werner keine Maßnahmen wollte, die sein Leben verlängern, waren zwar nicht eingetroffen. Aber trotzdem. Nun müsste wohl sie entscheiden, was nun mit Werner passieren sollte. Wie sollte sie entscheiden?

 

Teil 49

 

 

 

Frau Baal, da sind Sie ja“, kam Linderbach auf sie zu. „Wie geht es meinem Vater?“, wollte Eva wissen. „Nicht sehr gut. Er wird um jede Stunde schwächer. Haben Sie denn etwas erreicht?“, fragte der Arzt, während er mit Eva den Flur entlang ging. „Vater kein Testament gemacht. Ich habe mich genau informiert“, kam von Eva. „Wir müssen schnellstmöglich entscheiden. Wie schnell kann denn Ihre Mutter hier sein?“ Eva starrte den Arzt an. „Sie wohnt nicht hier in Berlin. Kann ich das nicht entscheiden?“, wollte sie wissen. „Es tut mir wirklich leid. Aber Ihr Vater ist, so wie Sie mir sagten, noch immer mit Ihrer Mutter verheiratet. Also, hat sie die Entscheidungen zu treffen“, informierte Linderbach. Eva wirkte abwesend. Wenn Annemarie die Entscheidung treffen würde… Sie würde bestimmt wollen, dass Werner keine Qualen mehr erleiden muss. Sie schloss für einen Moment die Augen. „Bleiben Sie bei Ihrer Meinung?“, sah Eva ihn herausfordernd an. „Ja“, sagte der Arzt knapp. Die Leiterin der Anstalt nickte verstehend und drehte sich um. Dann entfernte sie sich mit langsamen Schritten. „Frau Baal. Was ist mit Ihrem Vater? Frau Baal“, rief er ihr hinterher.

 

Na, Ilse, warst du wieder bei Walter?“, kam von Uschi, als Ilse den Stationsflur betrat. „Ja. Ihr geht es aber immer noch nicht besser“, war sie neben Uschi getreten. „Das wird ihr gar nicht schmecken“, lächelte Uschi. „Glaub mir. Walter ist froh, wenn sie diese Bronchitis endlich los ist“, schnäuzte sich Ilse. „Geht es ihr denn wirklich so schlecht?“, kam nun auch Uschi ins Grübeln. „Na ja, sonst geht es ihr ja gut. Aber ihr Husten. Der ist noch schlimm“, sagte Ilse. „Mach dir keine Gedanken. Es gibt doch eine neue Ärztin. Die bekommt Walter schon wieder fit“, war die grauhaarige Insassin zuversichtlich. „Oh ja. Walter steht ja jetzt schon auf sie. Ich wette, dass ein Beamter sie öfters auf die Krankenstation bringen kann“, lachte Ilse. „Mensch, sie kann es einfach nicht lassen. Kommst du mit einen Tee trinken?“, hatte Uschi den Arm um ihre Mitgefangene gelegt. „Gern“, nahm Ilse an und ging Richtung Gruppenraum.

 

Wie ich gehört habe, war die Schwester noch nicht da“, hatte Engel das Krankenzimmer betreten. „Sie haben Ihr Personal nicht im Griff. Ich warte hier seit Stunden und huste mir bald die Seele aus dem Leib. Aber es scheint wohl niemanden zu interessieren“, konterte Walter. „Sie haben recht, Frau Walter. Ich hätte selbst noch mal nach Ihnen sehen sollen“, entschuldigte sich Engel bei ihr. „Schon gut. Jetzt sind Sie ja da und können mich behandeln“, war Walter auf einmal milde gestimmt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie Recht von Engel bekam. „Ich habe mir etwas überlegt. Da Sie kein Fieber mehr haben, könnten Sie auch ein Bad nehmen. Und das hier nehmen Sie ein.“ Engel reichte ihr eine Tablette. „Das löst den Schleim. Rauchen Sie denn?“, wollte sie noch wissen. Walter nickte. „Versuchen Sie es zu reduzieren. Sonst bekommen Sie immer wieder eine Bronchitis.“ „Mach ich. Ich will Ihnen ja nicht zur Last fallen, Frau Doktor“, kam nun lächelnd von Walter. „Sie sind meine Patientin und es ist mein Job, Sie wieder gesund zu machen. Ich werde mich nun mal bei Frau Baal erkundigen, ob Sie unter meiner Aufsicht ein Bad nehmen können auf Station“, informierte Engel und verschwand wieder. „Du bist wirklich eine Süße und ich freue mich auf das Bad mit dir“, grinste Walter in sich rein.

 

Da sind Sie ja wieder“, sagte Möhrchen, als Eva die Tür zum Vorzimmer geöffnet hatte und eingetreten war. Sie reagierte gar nicht auf die Worte der Sekretärin. „Die Frau Staatssekretärin hat angerufen“, plapperte Möhrchen weiter. „Frau Baal? Ist alles in Ordnung?“, wollte die rothaarige Frau wissen, als ihr auffiel, dass ihre Chefin gar nicht reagierte. „Kümmern Sie sich bitte um Ihre Arbeit oder sind Sie nicht ausgelastet genug, dass Sie sich noch in das Privatleben anderer einmischen?“, sah Eva sie nun mahnend an. „Doch. Ich dachte nur…“, wurde Möhrchen kleinlaut. „Wenn ich etwas von Ihnen wissen will, dann frage ich Sie“, sagte sie und ging in ihr Büro. „Was hat sie denn nur wieder“, zuckte die Sekretärin die Schultern und tippte weiter an ihren Berichten.

 

Eva ließ sich in ihren Bürostuhl sinken und schloss die Augen. Wieso hatte Werner bloß kein Testament gemacht? Er war doch sonst nicht so nachlässig mit den Dingen. Sollte sie wirklich Annemarie anrufen und sie bitten, nach Berlin zu kommen? Evas Mutter war immer so überfürsorglich. Eigentlich konnte Eva das nicht gebrauchen. Es klopfte an der Tür. „Ja“, sagte sie knapp und setzte sich gerade hin. „Frau Dr. Reiterbach würde Sie gern sprechen. Es geht um Frau Walter“, kam kleinlaut von Möhrchen. „Ist es denn wichtig? Ich habe noch viel zu tun“, wollte Eva sich heraus reden. „Sie sagt ja“, bekam sie als Antwort. „Dann soll sie reinkommen“, war Eva sichtlich genervt von der Störung und atmete tief ein.

 

Was gibt es denn so Dringendes? Bitte fassen Sie sich kurz“, kam schroff von Eva. „Frau Walter hat immer noch starken Husten. Ich würde sie gern ein Bad nehmen lassen“, sagte Engel leise. Irgendwie was es ihr unangenehm, mit Eva zu reden. „Wenn Sie das für medizinisch notwendig halten. Die Entscheidung liegt bei Ihnen“, blieb Eva auf Abstand. „Das streite ich auch nicht ab. Aber wie Sie wissen, verfügt die Krankenstation über kein Bad. Daher wollte ich fragen, ob es möglich wäre, das Bad auf Station zu nutzen?“ Eva lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „So so“, sagte sie und spielte mit ihren Fingern. Dann lehnte sie sich nach vorn. „Meinen Sie nicht, dass die Ansteckungsgefahr für die anderen Insassinnen zu hoch ist, wenn Frau Walter ihre Bazillen verschleudert?“, fragte sie streng. Engel schwieg. „Ich sehe, dass Sie sich der Gefahr bewusst sind. Da müssen Sie sich etwas anderes einfallen lassen. Sonst noch was? Ich habe ein dringendes Telefonat zu führen.“ Engel erhob sich. „Nein“, sah sie Eva dabei an, „sonst ist nichts weiter. Trotzdem danke“, fügte sie noch hinzu. „gut“, legte Eva ihre Hand auf den Hörer und wollte gerade abnehmen, als es klingelte. „JVA Reutlitz, Baal“, nahm sie ab. „Dr. Linderbach hier.“ Eva bekam große Augen. Mit einem Anruf des Arztes hatte sie nicht gerechnet. „Gibt es Neuigkeiten, Dr. Linderbach?“, kam unsicher von ihr. „Frau Baal, es tut mir sehr leid“, machte er eine Pause, „Ihr Vater hatte Herzrhythmusstörungen. Wir haben alles versucht. Normalerweise ist das kein Problem. Aber das Herz von Ihrem Vater war einfach zu schwach. Wir konnten nichts mehr für ihn tun. Er ist eben gestorben“, dröhnte es aus dem Hörer. Evas Blick blieb starr an der Wand haften. „Eva? Ist alles in Ordnung?“ Engel war wieder an den Tisch getreten. „Eva? Sag doch was. Ist was passiert?“ Eva wirkte apathisch. Engel berührte sie an der Schulter. „Mein Vater. Er ist… eben gestorben“, sagte sie stockend. 

 

NEU



 

Eva ließ den Telefonhörer sinken und starrte an die Wand. Engel ging zurück an den Tisch und schaute sie an. „Was hast du denn? Wer war das am Telefon?“, wollte sie wissen. Allerdings ging sie nicht davon aus, von Eva eine Antwort zu erhalten. „Mein Vater. Er ist gerade gestorben“, sagte die Leiterin wie in Trance. „Was? Aber wieso? War er denn so krank?“, konnte es die neue Ärztin gar nicht fassen. „Er hatte eine Herzmuskelschwäche. Man versuchte ein Spenderorgan zu finden. Aber man hat noch keins gefunden gehabt. Sein Arzt sagte zu mir, dass man erst mal ein Kunstherz einsetzen kann. Dazu bräuchte man aber sein Einverständnis, eine Patientenverfügung. Ich war dann in der Anstalt, wo er eingesessen hat, aber konnte keine finden“, berichtete Eva. Sie war redselig. Anders wie sonst, wo sie ihren Kummer in sich hinein fressen würde. Sie kannte Engel noch immer gut und wusste, dass diese nicht nachgeben würde, bis sie die Wahrheit wusste. „Das tut mir so leid, wirklich“, kam von Engel. Die beiden Frauen blickten sich an. Eva erinnerte sich an damals, als sie vom Pferd gefallen war und Engel ihren zerschundnen Rücken zu Gesicht bekam. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fügte sie hinzu als Eva nicht im Stande war, etwas zu sagen. „Ja, du kannst Frau Mohr sagen, dass ich erst mal ungestört sein will“, war keinerlei Regungen in Evas Gesicht zu sehen. „Bist du sicher, dass du erst mal allein sein willst?“ Engel war nicht wohl bei dem Gedanken, ihre ehemalige Schulkameradin sich selbst zu überlassen. „Bin ich. Du hast Patienten, die darfst du nicht warten lassen.“ Evas Gegenüber nickte. Dann ging sie zur Tür und verließ den Raum.

 

Na, endlich kommt mal jemand hier. Ich warte schon seit Ewigkeiten und huste mir alles aus dem Leib!“, kam genervt von Walter. „Entschuldigen Sie, ich hatte noch etwas zu erledigen. Brauchen Sie noch etwas, dass Ihren Husten beruhigt?“, wollte die Schwester wissen. „Können Sie mir sagen, wo solange die Frau Doktor bleibt? Sie sagte zu mir, dass sie zur Baal geht und die fragt, ob ich mal ein Bad zur Entspannung nehmen kann. Aber da hat sich bis jetzt noch nichts getan. Meinen Sie, ich will ewig hier rumliegen?“, kam wieder von ihr. „Ich weiß auch nicht, wo die Ärztin solange bleibt. Wahrscheinlich hatte sie einen Notfall auf Station. Ich hole Ihnen noch mal etwas zum Einreiben“, verschwand die Schwester wieder aus dem Zimmer. Walter blieb grimmig zurück.

 

Frau Baal möchte erst mal nicht gestört werden. Aber bitte informieren Sie mich, wenn was sein sollte“, verlangte Engel von der Sekretärin. „Was ist denn bloß passiert?“ fragte Mohr erstaunt. Normalerweise sagte Eva ihr das doch immer selbst. „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Also, informieren Sie mich bitte, wenn etwas sein sollte“, sagte Engel noch mal nachdrücklich und verschwand dann. „Was die Chefin wohl hat?“ Möhrchen blickte zur Bürotür und zuckte mit den Schultern.

 

Eva starrte noch immer wie in Trance auf ihren Arbeitsplatz. Man konnte erkennen, dass in ihren Augen leichte Tränen schimmerten. Allerdings nicht vor Trauer, sondern eher vor Erstaunen und Wut. Werner hatte es tatsächlich geschafft, dass seine eigene Tochter ihn in den Tod getrieben hatte. Zumindest hatte Eva das im Gefühl. Warum auch hatte ihre Mutter die Entscheidungsgewalt? Ihre Mutter. Sie müsste Annemarie noch anrufen und ihr sagen, was mit Werner passiert war. Sie konnte sich schon vorstellen, was zu hören bekommen würde. Annemarie wäre doch gekommen und hätte ihre zur Seite gestanden, bei dem Gedanken verkrampfte sich Evas Magen. Sie ging nicht davon aus, dass sich ihre Mutter verändert hatte. Wahrscheinlich war sie immer noch ängstlich und nicht fähig dazu, eigenmächtig Entscheidungen zu treffen. Dennoch griff sie zum Telefon und rief die Auskunft an. Sie musste ihr Bescheid sagen und einfach abwarten, was passieren würde. Nach einigen Wählversuchen hatte sie endlich Annemarie in der Leitung. „Ja, wer ist denn da?“, kam ziemlich leise von ihr. „Hallo, Mama. Ich bin es, Eva“, sagte diese mit ruhiger Stimme. „Eva, mein Kind. Schön, dass du dich mal wieder meldest. Wie es dir denn so?“, kam fröhlich von ihrer Mutter. „Danke, mir geht es gut. Die Arbeit ist nur etwas stressig. Ich muss dir etwas sagen. Es geht um Vater“, atmete sie tief durch. „Wie geht es Werner denn? Trefft ihr euch öfters?“, plapperte Annemarie drauf los. „Nein, Mama. Es ist anders. Vater. Er ist vorhin gestorben“, sagte sie ohne Umschweifen. Nichts mehr war zu hören. „Bist du noch dran?“, fragte Eva zur Sicherheit. „Wie ist es denn passiert? Musste er sehr leiden?“, wollte ihre Mutter wissen. „Er hatte eine Bronchitis nicht richtig auskuriert und bekam dadurch eine Herzmuskelschwäche“, berichtete Eva. „Das ist ja schrecklich. Wie geht es dir denn? Das muss doch auch schlimm für dich sein“, schniefte ihre Mutter in den Hörer, „Es geht schon. Ich wollte dir das eigentlich nur sagen, außerdem wusstest du von Vaters Erkrankung. Ich muss jetzt auch weiterarbeiten“, wollte Eva das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Doch Annemarie ließ das nicht zu. „Warte. Du hast mir noch gar nicht gesagt, wann die Beerdigung ist und ich kommen soll?“, wollte sie noch wissen. Eva verdrehte die Augen. Das konnte sie nun am allerwenigsten gebrauchen, dass ihre Mutter hier auftaucht und die Beerdigung plant. „Eva, bist du noch dran“, dröhnte es wieder. „Ich weiß noch nicht, wann die stattfindet. Es ist momentan wirklich sehr stressig.“ Erst jetzt begriff sie, dass ihre Aussage wohl ein Fehler gewesen war. „Dann wäre es doch das Beste, wenn ich zu dir komme und die Beerdigung vorbereite.“ Das hatte Eva geahnt. Für einen Moment schloss sie die Augen. „Das musst du wirklich nicht machen. Ich rufe dich dann an, wenn die Beerdigung ist“, sicherte Eva ihrer Mutter zu und hoffte, dass sie sich darauf einließ. „Nein. Du hast gesagt, du hast eine Menge Stress und ich will dir ein bisschen davon abnehmen, damit du auch mal um deinen Vater trauern kannst.“ Eva war wie vom Schlag getroffen. Wieso sollte sie um Werner trauern? Er hatte doch erreicht, was er wollte. Hatte er denn Trauer verdient? Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich bin dann in zwei Tagen zu dir. Gibst du mir noch deine Adresse, damit ich dich auch finde?“, vernahm sie wieder die Stimme ihrer Mutter. „Ich werde aber nicht zu Hause sein, wenn du kommst. Ich habe ein Gefängnis zu leiten“, kam von Eva. „Dann komm ich ins Gefängnis, das ist doch kein Problem mein Kind“, hörte man Annemarie mütterlich sagen. Wieder verdrehte Eva die Augen. Gegen die Vorschläge ihrer Mutter war sie machtlos, also gab sie sich geschlagen. „Dann kommst du übermorgen nach Reutlitz. Ich hole dich dann an der Schleuse ab“, kam von Eva und ging davon aus, dass nun alles geklärt sei. „Ich rufe dich dann an, wen ich da bin, in Ordnung?“, wollte ihre Mutter noch wissen. „Das musst du nicht. Der Pförtner an der Schleuse sagt mir Bescheid, wenn du da bist. Wir sehen uns dann übermorgen. Tschüß“, beeilte sich Eva, das Gespräch zu beenden. „Mach’s gut, Eva“, dann klickte es in der Leitung. Sie atmete tief durch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

 

Entschuldigen Sie, Frau Walter. Es gab noch einen Notfall. Leider habe ich auch nichts bei Frau Baal erreicht. Ihr ist die Ansteckungsgefahr zu hoch. Aber wir finden einen Weg, das verspreche ich Ihnen“, sagte Engel in einem ruhigen Tonfall. „Und was wollen Sie da machen? Wissen Sie eigentlich, wie weh das tut? Ich muss zurück auf Station. Meine Mädels brauchen mich und so schlimm ist der Husten nicht mehr“, protestierte Walter. „Das entscheide immer noch ich. Sie sagten doch gerade, dass es noch wehtut. Also kann es Ihnen noch nicht so gut gehen. Ich werde Sie jetzt noch mal abhören“, griff Engel zu ihrem Stethoskop und setzte es Walter behutsam auf die Brust. „Es hört sich zwar schon besser an. Aber noch nicht zu meiner Zufriedenheit. Ein bisschen werden Sie noch hier bleiben“, lächelte Engel. Da war es wieder. Das Lächeln, was Walter so gut gefiel. Sie lächelte zurück und nickte einverstanden.

 

Frau Baal, ich brauche eine Unterschrift. Das ist für den Senat“, kam Möhrchen ins Büro gestolpert. Erst jetzt bemerkte sie, dass Eva gar nicht an ihrem Schreibtisch saß, sondern am Fenster stand. „Frau Baal, ist alles in Ordnung bei Ihnen?“, wollte die Sekretärin wissen. Eva sah sie mit großen Augen an. „Es ist alles in Ordnung, Frau Mohr. Machen Sie mir bitte eine Verbindung zum Bestattungsinstitut?“, kam von Eva. Möhrchen sah sie ungläubig an. „Bitte stellen Sie keine Fragen und tun Sie einfach das, was ich Ihnen gesagt habe“, verlangte Eva von ihr. Sie hatte wirklich keine Lust, ständig neue Fragen zu beantworten. Schließlich war es ihre Sache. „Einen kleinen Moment, bitte“, nickte Möhrchen und verschwand wieder. Die Beerdigung von Werner fand in drei Tagen statt. Damit konnte Eva zufrieden sein. So müsste sie ihre Mutter nur einen Tag bei sich haben. Auf ihrem Gesicht konnte man ein leichtes Lächeln erkennen.

 

Habt ihr schon gehört, was mit der Baal ist?“, fragte Jeanette an dem Tag von Annemaries Anreise die anderen. „Was soll denn mit ihr sein? Die ist immer noch hier und macht uns das Leben schwer. Das ist mit ihr los“, kam von Melanie. „Der alte Baal ist gestorben und die Mutter von ihr kommt heute hierher!“, sagte Jeanette. „Na, hoffen wir mal, dass das nicht auch so ein Fossil ist“, kam wieder von Melanie. „Ach, Mel!“, protestierte Ilse. „Ist doch wahr. Also, mir reicht eine. Aber sag mal, Jeanette. Woher weißt du das schon wieder?“ „Habe ich beim Putzen bei der Mohr gehört“, gab die Ledertasche Auskunft. „Was du alles beim Putzen hörst…“, zog Melanie ihre Mitgefangene auf. „Glaub doch, was du willst“, war diese beleidigt und zog ab. „Warst du wieder mal bei Walter, Ilse?“, wollte sie von ihr wissen. „Gestern. Sie hat zwar kein Fieber mehr. Aber ihr Husten klingt noch nicht so toll.“ „Sie wird schon wieder. Walter ist stark wie ein Schrank.“ Ilse nickte, sagte aber nichts.

 

Schön, dass du mich abholst, Eva“, breitete Annemarie ihre Arme aus, um ihre Tochter in die Arme zu schließen. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich abhole“, blieb Eva vor ihrer Mutter stehen. „Du hast nette Kollegen“, kam von Annemarie. Eva schaute zu Trude Schiller, die sich mit Mühe ein Lächeln abquälte. „Ja. Aber nun lass uns gehen. Ich habe meiner Sekretärin gesagt, dass ich gleich wiederkomme.“ Eva ging voraus.

 

Du hast ein nettes Büro. Sehr stilvoll eingerichtet. Du hast mir noch gar nicht erzählt, wo du deinen Vater gefunden hast, als er diese Herzmuskelschwäche hatte“, kam Annemarie auf Werner zu sprechen. Eva stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Wusste ihre Mutter denn nicht, dass Werner wegen Mordes verurteilt und seit Jahren im Gefängnis gesessen hatte? „Ich habe ihn nicht gefunden. Ich wurde vom Krankenhaus angerufen. Hast du damals nicht die Nachrichten verfolgt? Er wurde wegen Mord an zwei Personen angeklagt. Zunächst hatte man gedacht, ich habe ihm dabei geholfen. Bald wäre ich noch verurteilt worden. Zum Glück hatte er dann noch ein Einsehen und gestand. Deswegen kann und werde ich auch nicht um ihn trauern. Er hat mir so viele Dinge angetan. Die kann ich nicht vergessen. Mir wäre es auch lieber, wenn ich nicht zur Beerdigung müsste…“, kam von Eva. Annemarie war geschockt und konnte keinen Ton sagen.

 

Teil 51

 

 

Was sagst du da?“ Annemarie starrte ihre Tochter an. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Es ist wahr. Und bitte versuche mich nicht davon zu überzeugen, dass ich doch zur Beerdigung gehe. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich meinem Vater“, das Wort betonte sie extra, „die letzte Ehre erweise. Er hat mich nie so akzeptiert, wie ich war und nie war ich ihm gut genug“, redete sie sich fast in Rage. „Er konnte seine Gefühle nie so zeigen. Das weißt du doch“, versuchte Annemarie ihre Tochter milde zu stimmen. „Hör doch auf, dir was schön zu reden. Du hast ihn nicht erlebt, als er hier war. Vater hatte eine Stabsärztin, Kerstin Herzog, die hat er immer mehr geschätzt als mich. Aber sie war ihm ja auch nicht zu schade, um sie zu opfern. Auch wenn er mein Vater ist, verlange das bitte nicht von mir. Er hat dir selbst genug angetan früher. Ich kann nicht nachvollziehen, wie du dennoch machen kannst“, redete Eva auf ihre Mutter ein. „Er hatte auch gute Seiten“, versuchte sie ihren verstorbenen Mann zu schützen. Eva verdrehte leicht die Augen. „Das muss weit vor meiner Zeit gewesen sein“, sagte sie. „Eva“, mahnte ihre Mutter. „Mach, was du für richtig hältst. Aber ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Lass dir mal von Frau Mohr einen Kaffee geben, ich muss mal auf die Krankenstation“, hatte sie bereits die Tür geöffnet, damit Annemarie ins Vorzimmer gehen konnte.

 

Frau Mohr, würden Sie meiner Mutter einen Kaffee geben, ich muss mal kurz auf die Krankenstation“, stand Eva vor dem Bürotisch ihrer Sekretärin. „Natürlich. Mit Milch und Zucker?“, wollte Mohr wissen. „Gern“, lächelte Annemarie und setzte sich auf einen Stuhl, nah der Tür. Eva blickte sich noch einmal um, nickte und verließ dann den Raum.

 

Als sie auf den Weg zur Krankenstation war, dachte Eva über ihre Kindheit nach. Sie erinnerte sich noch genau daran, als sie mit fünf Jahren allein in ihrem Zimmer bleiben sollte und Werner sogar abschloss. Annemarie hatte sie befreit und Eva hatte gemerkt, dass ihre Mutter geweint hatte. Damals wusste sie noch nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber später wusste sie dieses ganz genau. Eva schüttelte im Laufschritt ihren Kopf. Es waren so viele Jahre vergangen. Ihre Mutter hatte sich sogar von Werner getrennt. Da war Eva sogar noch in der Ausbildung. Annemarie hatte ihr damals einen Brief geschrieben. Eva hatte nur einmal angerufen. Besucht hatte sie ihre Mutter dennoch nie. Sie hatte kein Verlangen danach. Und sollte sie mit ihr um ihren Vater trauern? Nein, das ging nun wirklich nicht. Dazu war zuviel passiert. Zuviel Schlimmes. Nach ein paar Minuten war Eva an der Tür angekommen, die zum Sprechzimmer von Engel führte. Sie hatte Hemmungen. Sollte sie wirklich anklopfen? Sie wusste, dass Engel nicht aufgab, solange sie nicht die Wahrheit wusste. Aber sie war wohl auch eine der wenigen, mit der Eva über die derzeitige Situation reden konnte. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder sie klopfte nun an und redete mit Engel oder sie ließ es und musste mit der Situation allein klarkommen. Sie atmete tief durch und riss sich zusammen. Dann klopfte sie an die Tür und wartete. Einige Sekunden waren vergangen und Eva wollte schon wieder gehen, als sich die Tür öffnete. „Eva“, kam erstaunt von Engel. Mit ihrer Vorgesetzten hätte sie nun am allerwenigsten gerechnet. „Hallo, darf ich reinkommen?“, kam von ihr. „Ja. Natürlich“, sagte Engel und trat einen Schritt zur Seite.

 

Es geht um die Beerdigung“, begann Eva, nachdem sie Platz genommen hatte. „Wann ist sie denn?“, wollte Engel wissen. „Morgen. Ich kann nicht dahin. Ich kann nicht um einen Menschen trauern, der mir im Leben soviel angetan hat und mich nicht mal respektiert hat. Für andere Menschen, die nicht mal sein Fleisch und Blut waren, für die hatte er immer ein gutes Wort.“ Eva versuchte ihre Tränen zurückzuhalten, aber sie schaffte es nicht. Engel starrte sie beinah an. So hatte sie Eva noch nie gesehen…


 

Teil 52

 

 

Eva“, flüsterte Engel beinah. Sie ging einige Schritte auf sie zu. Dann ging sie vor Eva in die Hocke und legte ihr eine Hand auf das Knie. Eva zuckte leicht zusammen. Mit Berührungen jeglicher Art hatte sie seit einigen Jahren ihre Schwierigkeiten. „Tut mir leid“, entschuldigte sich Engel. Sie wollte Eva nicht zu nah treten. Zu groß war die Angst, dass sie sich ihr gegenüber wieder schließt. „Es ist wohl besser, wenn ich gehe. Du solltest dich um deine Patienten kümmern“, wollte sich Eva erheben, sank aber gleich wieder in den Stuhl zurück. „Die können warten. Wichtig bist erst mal nur du“, strich Engel ihr über die Hand. „Ich will dir nicht deine Zeit rauben. Es war eine schlechte Idee, hierher zu kommen. Ich weiß auch gar nicht, warum ich das getan habe“, schüttelte sie ihren Kopf. „Weil du jemanden zum Reden brauchst. Red mit mir. Ich bin da für dich. Lass es raus. Es wird dir sicherlich helfen.“ Die Ärztin hatte sich erhoben und zog ihren Schreibtischstuhl zu Eva. Danach nahm sie Platz und legte einen Arm um deren Schulter.

Du musst nicht dahin, wenn du das nicht willst. Es zwingt dich keiner dazu. Niemand kann von dir erwarten, dass du etwas tust, wovon du nicht selbst überzeugt bist.“ Eva schaute sie von der Seite an. „Was rätst du mir?“, fragte sie. „In diesem Fall ist es schwer, jemandem etwas zu raten. Aber vielleicht ist es wirklich besser, du gehst zu dieser Beerdigung und verabschiedest dich…“, kam von Engel. Eva sah sie erstaunt an. „Ich meine, du sollst dich nicht so verabschieden, wie einer der trauert. Sondern, dass du ihm am Grab sagst, wie du dich all die Jahre gefühlt hast. Was dir wehtat, dass von ihm kam. Du musst dir mal alles von der Seele reden. Es wird dir sicher helfen. Damit du mit allem abschließen kannst.“ Eva sah sie mit Tränen in den Augen an. „Ich kann das nicht. Ich kann das nicht an seinem Grab. Ich kann das nicht, wenn meine Mutter danebensteht und um diesen Menschen trauert, der uns soviel Leid zugefügt hat“, kam von Eva. „Wenn du das am Grab nicht kannst… Es gibt noch andere Möglichkeiten, sich das von der Seele zu reden“, sagte Engel. Eva hüllte sich in Schweigen. „Glaub mir. Wenn du dich davon nicht befreist, dann wirst du das dein ganzes Leben lang mit dir herumschleppen. Lass einfach alles aus dir raus“, lächelte die rothaarige Frau. „Ich werde nie vergessen können, was er mir alles angetan hat. Ich werde nie vergessen können, dass es nie genug war, was ich geleistet hab. Ich werde nie vergessen können, wie er mich in den dunklen Keller sperrte, wenn mal etwas nicht so lief, wie er es wollte. Ich…“, stockte sie plötzlich. „Was? Sprich weiter“, forderte Engel von ihr. „Ich werde mich niemals wieder jemandem öffnen können“, liefen ihr Tränen über das Gesicht. „Doch. Das wirst du. Du öffnest dich gerade. Das ist gut“, kam zurück. „Das ist etwas anderes. Du kennst mich. Du weißt, was damals los war.“ Engel schwieg. Ja, sie wusste dass sie Sachen über Eva wusste, die sonst niemand weiß. Aber auch wusste sie, dass es ihr damals alles andere als recht war, dass Engel ihrem Vater erzählte, was Werner mit seiner Tochter gemacht hatte. „Es tut mir leid, dass ich damals so reagiert habe. Ich dachte, dass ich meinen Vater schützen müsste. Ich habe es als Verrat gesehen und nicht als Hilfe.“ Engel nickte. Sie konnte auf Eva nicht böse sein. Eigentlich hatte diese Frau einfach nur Mitleid verdient. Mitleid wegen ihrer Familie. „Würdest du morgen mitkommen? Zur Beerdigung mein ich.“ Engel zuckte leicht zusammen. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. „Ich weiß nicht genau“, zögerte sie. „Wenn es wegen deinen Patienten nicht geht, dann versteh ich das. Ich würde mich nur… sicherer fühlen“, stockte sie leicht. „An Patienten ist nur Frau Walter auf der Krankenstation. Das würde kein Problem darstellen“, sicherte Engel zu. Walter schoss es Eva durch den Kopf. „Wie geht es ihr denn?“, wollte Eva wissen. Nicht nur, weil dies ihre Aufgabe als Anstaltsleiterin war, sondern auch weil Walter ebenfalls eine Bronchitis hatte – wie Werner. „Fieber hat sie zum Glück keins mehr. Nur noch den Husten. Der ist zwar auch schon besser, aber den sollte sie erst einmal loswerden“, sagte Engel. „Ist ihr Husten so schlimm? Mit der Zeit müsste es doch besser werden“, wunderte sich Eva. „Schon, aber ich halte nicht viel davon, die Leute mit Medikamenten vollzupumpen. Wenn ich sie abhöre, dann höre ich, dass sich immer noch Schleim in ihren Bronchien befindet und solange der nicht raus ist…“ „Was würde da denn helfen?“, wollte Eva wissen. „Ich mach schon Dampfbäder mit ihr. Aber das ist zu gering. Besser wäre es wirklich, wenn sie mal ein richtiges Dampfbad nimmt und sich dabei richtig entspannt. Ich merke, wie ihre Brust schmerzt wenn sie husten muss.“ „Du kannst sie nachher auf Station bringen und ihr ein Bad einlassen. Zurzeit ist niemand auf der Station, da dürfte das nicht problematisch werden“, kam von Eva. „Danke, ich werde sie gleich darüber informieren. Und ich begleite dich morgen, wenn du das immer noch willst.“ Über Evas Lippen huschte ein kleines Lächeln. „Danke“, sagte sie aus tiefstem Herzen und verließ dann den Raum. 

Kostenlose Webseite von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!